Homo Psychologicus

Der Mensch ist ein biologisches Individuum, das in dem Verbund einer Gruppe lebt. Die Gruppe prägt ihn (Über-Ich), die biologische Herkunft prägt ihn (Es – Triebe), zudem ist er als Individuum ausgestattet mit einem Verstand, mit dem er sowohl die Forderungen des Über-Ich (Gruppe), als auch die Forderungen seiner Triebe „verwalten“ kann. Dieser „Bereich“, in dem diese Prozesse stattfinden, ist das Unbewusste, ist seine Psyche. Sie ist geprägt von der Gruppe (Erziehung, Freunde, …), von seinem eigenen Charakter und seinen biologischen Begrenzungen (offen, verschlossen, körperlich eingeschränkt, Frau/Mann, Kind/Erwachsener …), wie auch von kognitiven Vermögen, also den Fähigkeiten, die seinen Verstand betreffen. Es geht jedoch auch beim Homo Psychologicus nicht um das Individuum – es geht darum, die Menge der Individuen psychisch auf ein Individuum zu konzentrieren und dabei alles andere auszublenden.

Um den Verstand zu entlasten, verwendet der Homo Psychologicus unterschiedliche Strategien: Gewohnheiten laufen immer nach einem bestimmten Verhaltensmuster ab. Um möglichst wenig in der Gesellschaft anzuecken, vergleicht er sich auf sozialer Ebene, vergleicht er sich mit der Gruppe und passt sich an (auch aus Gründen der Unsicherheit), um nicht viel nachzudenken, ahmt er nach. Dabei geht es nicht allein darum, dass er wie beim Homo Oeconomicus allein den Kosten-Nutzen Faktor im Blick hat, auch nicht immer den direkten Weg geht, weil das seine kognitiven Fähigkeiten überansprucht. Was ihn bestimmt, das ist die Zufriedenheit, der Einklang zwischen seinem individuellen Fühlen und seinem sozialen Eingeordnet-Sein – und das unter Einsatz von möglichst wenig Energie.

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Aus diesem Wissen um den Menschen heraus, werden von verschiedenen Seiten Strategien entwickelt, um den Menschen dazu zu bringen, ohne viel Nachdenken dem zu entsprechen, was die gesellschaftspolitischen Strategen verschiedener Couleur im Blick haben. Bekannt sind Verkaufsstrategien: Strategien in der Werbung, Platzierung der Produkte, Gerüche, Farben, Wortwahl, Grafik… Wie kann man dem Käufer auf psychischer/unbewusster Ebene suggerieren, dass er auf einfachem Weg, ohne seine kognitiven Fähigkeiten und seinen Energiehaushalt zu überanstrengen, mit dem Kauf eines Produkts äußerste Zufriedenheit erlangt? Hat eine Werbung das erreicht, wird er es immer wieder wählen, vor allem auch dann, wenn er weiß, dass viele es gewählt haben. Wenn er allerdings aufgrund seines permanenten sozialen Abgleichs merkt, dass viele auf einmal ein anderes Produkt wählen – oder die Werbung für ein anderes Produkt funktioniert – wird er verunsichert: Hebt das andere Produkt nicht doch die Zufriedenheit (auch sein soziales Angepasstsein)? Ist er verunsichert, lässt er sich auf das Wagnis ein und nimmt das neue Produkt.

Menschen lassen sich unterschiedlich einordnen: Manche springen sofort auf neue Faktoren ein, manche denken intensiver nach, manche gehen den kürzesten und schnellsten Kosten-Nutzen-Weg, manche müssen intensiver bearbeitet werden, um überhaupt wahrzunehmen, dass ein neues Produkt auf dem Markt ist. Entsprechend müssen dann diese unterschiedlichen Gruppen von Menschen bearbeitet werden – aber ohne dass sie es auf der bewussten Ebene merken. Zudem sind altersspezifische Verhaltensweisen, geschlechtsspezifische Verhaltensweisen und weitere zu berücksichtigen.

Das hat sich aber alles inzwischen herumgesprochen, sodass Käufer vorsichtiger werden. Darum müssen neue Strategien entwickelt werden. Hier ist das Nudging zu nennen. Nudging bedeutet, dass man auch versucht, Menschen zu beeinflussen, aber ohne die oben genannten harten Strategien zu verwenden. Denn es hat sich gesellschaftspolitisch etwas verändert, was mit den Begriffen: Sharing Economy (Gemeinschaftskonsum: Menschen stellen Räume, Gegenstände/Autos anderen zur Verfügung) und Crowd-Sourcing-Trends (viele machen gemeinsam etwas) und Influencer-Marketing. Das gibt es dann auch auf politischer und medialer Ebene: Shitstorm, Massendemos – was zum Beispiel sehr modern mit den Worten: „Wir sind mehr!“ beschrieben wird – vereinheitlichte mediale „Informationen“/Kommentare. Zudem leben wir in einer Informationsgesellschaft und der Kunde möchte informiert werden – und je mehr er den Eindruck hat, er hat sich informiert bzw. wurde informiert (z.B. durch Erfahrungsberichte auf bestimmten Internetplattformen), desto zufriedener greift er auf das Produkt zurück, weil er auch wahrnimmt, wie klug er war, sich zu informieren.

Das, was hier anhand des Kaufverhaltens kurz dargelegt wurde, betrifft alle möglichen Ebenen der Gesellschaft: z.B. Berufswahl, politische Präferenzen, Frauen-/Männerbilder, Einschätzung von Umweltfragen. Das heißt: Was für die Werbung an Strategien erarbeitet wurde, um ein bestimmtes Produkt zu kaufen, wurde auf die Ebenen der Politik übertragen – das nicht unbedingt parteipolitisch (aber auch), sondern sozialpolitisch.

Die hier beschriebenen Methoden, Strategien sind schon uralt. Es gab immer Menschen, die das psychische Grundmuster des Menschen durchschauten und auch ausnutzten. Die Psychologie hilft nicht nur, den Homo Psychologicus zu durchschauen, sondern auch strategisch intensiver zu manipulieren. Entsprechend werden Menschen den „Psychologischen Virtuosen“ ausgeliefert.

Zu einem verantwortlich geführten Leben gehört es, dass man versucht, möglichst reflektiert seine von Menschen gemachte Umwelt wahrzunehmen, um bewusst zu entscheiden (wenn man noch kann): Möchte ich das?

Aufgabe:

Wie würde Jesus auf diese strategischen Ansätze, die angewandt werden, um Menschen im Unterbewussten zu manipulieren, reagieren? Belege die Antworten mit Hilfe neutestamentlicher Texte bzw. erinnerter neutestamentlicher Texte. (Tipp: Wie geht er – laut Matthäus – in der Bergpredigt vor, um Menschen zu einem anderen Verhalten zu motivieren?)

Beachte auch das, was zum Thema „Schuld“ gesagt wurde https://evangelische-religion.de/schuld-und-vergebung.htmlHier weitergeführt bedenken: Wenn ein Mensch dermaßen unterbewusst manipuliert wird, ist er noch für sein Verhalten verantwortlich?

Jesus verwendet Gleichnisse, um Menschen zum Nachdenken anzuregen. Nenne Beispiele. Worin unterscheidet sich dieser Ansatz von den oben genannten Strategien? (Wenn dir keine einfallen, schaue: Lk 10,25ff; Lk 15,11ff.; 16,19ff.)

Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft, sie erkundet Fakten über das Verborgene im Menschen (sein Seelenleben). Sein Verhalten, Wahrnehmen, Denken, Fühlen wird beschrieben, es werden Konzepte entwickelt, um dem Menschen zu helfen, mit seinem ihm selbst verborgenen seelischen Innenleben klar zu kommen (vgl. Betriebspsychologen, Schulpsychologen [die keine Psychotherapeuten sein müssen]). Informationen werden gewonnen durch Selbstauskunft – also über Worte (die bewusst oder unter Hypnose usw.) ausgesprochen und dann gedeutet und eingeordnet werden -, aber auch mit Hilfe technischer Geräte (z.B. Messung von Hirnströmen). Psychologie arbeitet eng mit anderen Bereichen, so der Medizin zusammen (Psychotherapeuten).

Aufgabe:

Über Jesus wird gesagt: Er wusste, was im Menschen vorgeht, er wusste, was die Menschen dachten, bevor sie es aussprachen. So sehr das auch bewundert wurde, es war manchen Menschen suspekt und man wollte mit einem solchen Menschen nichts zu tun haben (z.B. Matthäus 12,25-33; Lukas 7,36-50; Johannes 2,23-25; Johannes 13,1-11).

Das wird in den Evangelien nicht begründet – aber kannst Du Dir vorstellen, warum Bewunderung und Ablehnung mit einem solchen Menschen verbunden sind?