LIFE OF PI. SCHIFFBRUCH MIT TIGER

Regie und Drehbuch: Ang Lee, 2012

Ein Schriftsteller besucht Pi und meint, dass derjenige, der ihn zu Pi geschickt hat, das mit den Worten getan habe, er würde ihm den Glauben an Gott zurückgeben, was Pi dann abschwächt – aber über dem ganzen Film steht das Thema „Glaube“. Das Thema wird vor allem am Ende wieder aufgegriffen.

Pi berichtet einem Schriftsteller aus seiner Kindheit. In diesem Zusammenhang berichtet er von seiner religiösen Sozialisation. Seine Mutter war aufgrund der falschen Heirat von der Familie ausgeschlossen worden und klammerte sich als Konstante zu ihrem vergangenen leben an ihre hinduistische Tradition und lehrte Pi den Glauben. Der Vater war an Polio erkrankt, und es halfen ihm keine Götter, aber die Medizin, und so verkündete er, dass die Wissenschaft in kurzer Zeit mehr erreicht hat, als die Religion in Jahrtausenden – seine Kinder sollten den Verstand benutzen. Die Mutter stimmt dem zu, dass die Wissenschaft viel erreicht hat, aber Religion für das Innere des Menschen sei. Dann ging Pi aufgrund einer Art Wette aus Langeweile in eine Kirche und trank das Weihwasser. Der Priester, der das sah, gab ihm ein Glas Wasser zu trinken. Pi schaute sich die Bilder in der Kirche an und fand Gott grausam, aber der Sohn – Jesus – hatte es ihm angetan. Und der Priester meinte, man solle nicht auf das sehen, was man nicht versteht, sondern die Liebe. Zuletzt wandte er sich dem Islam zu, weil die Worte so stringent waren. Während der Vater ihm dann bei einem Abendessen die Bedeutung des Verstandes erklärte, sagte Pi ihm, dass er sich taufen lassen wolle. Vor dem Schlafengehen bedankte er sich bei Krischna, dass er ihn mit seinem Sohn – Jesus – bekannt gemacht habe.

Dann muss Pi als Jugendlicher mit seinen Eltern nach Kanada auswandern und die Tiere des Zoos werden mitgenommen. Es kommt zu einem Unwetter. Pi geht auf Deck und schreit: Herr der Stürme, Herr der Blitze, das ist ja noch gar nichts! Und das Schiff geht unter. Er wird gerade noch so gerettet und landet auf einem Rettungsboot, auf dem sich auch Tiere gerettet haben: Ein Zebra, eine Hyäne, ein Orang-Utan und ein Tiger. Zuletzt überleben nur er und der Tiger, selbst die Ratten gehen unter. Das ganze ist nun ein Überlebenskampf. In diesem kommen viele religiöse Bezüge vor.

Im Grunde wird die ganze Geschichte, die mit dem Hinweis auf Pi´s Arche beginnt, mit dem Gebet in Gang gesetzt, das sich Gott in die Hände legt: „Ich bin dein Gefäß. Was immer kommt, ich will es wissen, zeig es mir“. Und Gebete sind es, die die Gottesbeziehung verdeutlichen. Er dankt Vishnu dafür, dass er in Gestalt eines Fisches gekommen ist, um ihn vor dem Verhungern zu bewahren (damit wird auf Vishnu, dem Erhalter angespielt [Brahma = Schöpfer, Shiva = Zerstörer].

Während ein Sturm das Boot beutelt, greift er das Sturm-Gebet des Beginns auf – allerdings wird es in einer Art Wahnsinn angesichts des gewaltigen Sturmes, der als Wunder, als Gegenwart Gottes angesehen wird, nachdem ein Lichtstrahl durch die Wolken brach, gesprochen – und wird zu einem Dank umgeprägt: Gepriesen sei Gott, der über allem, der barmherzige – das dann aber in einen Vorwurf mündet, weil er dem Tiger Angst macht: Warum machst du ihm Angst? Ich habe alles verloren, was willst du noch? Er kapituliert.

Aber nicht nur der Sturm dürfte archaische Erzähltradition beinhalten, sondern auch der riesige Fisch aus der Tiefe, der Pi´s Staunen jäh beendet und zerstörerisch wirkt. In der indischen Mythologie ist Vishnu ein riesen Fisch auf Grund des Meeres, der die hinduistische Arche rettet, damit neues Leben entstehen kann. Der Sternenhimmel, wunderschön, mit Göttlichem verbunden, wie zu Beginn der Geschichte mit Blick auf Krischna gesagt: Universum im Mund Krischnas.

In einem nächsten Gebet spricht Pi die tote Familie an, freut sich auf ein Wiedersehen mit ihr, was wieder christlicher Vorstellung entspricht, er dankt Gott für sein Leben: „Ich bin jetzt bereit.“ Dann kam er an eine Insel, nahm Nahrung zu sich, ein Bad in einem Süßwassersee. Aber diese Insel musste er verlassen, weil er erkannte, dass es sich um eine Fleisch fressende Insel handelte. Aber: Im Grunde ist das die Erde. Auch sie ist Fleisch fressend, Zähne bleiben eine Weile übrig. Kurz, er entrann dem Tod, dafür dankt er Gott, weil er über ihn gewacht und ihm Zeichen gegeben hatte, den Ort des Todes zu verlassen.

Danach kam er an Mexikos Strand an, legte seine Wange in den Sand, an die Wange Gottes und zwei Augen lächelten (Gottes?) weil er nun die Reise beendet hatte. Das Gebet zu Beginn lautete: „Was immer kommt, zeig es mir.“

Dann bekommt die Geschichte ein massive Wendung. Vertreter der Reederei untersuchen, wie es dazu gekommen ist, dass das Schiff gesunken ist. Diese Männer akzeptieren die Tiger-Geschichte nicht, weil sie unglaubwürdig klingt. Dann erzählt Pi ihnen eine andere Geschichte. Sie beginnt mit dem Wachwerden auf dem Schiff – er weiß nicht, warum er wach geworden ist, vielleicht eine Explosion… – das bedeutet, sein Aufenthalt auf Deck im Sturm spielt jetzt keine Rolle mehr. Die Tiere sind Menschen – er selbst ist der Tiger, in ihm wurde durch den überlebenden Koch/die Hyäne, das Böse geweckt. Im Gutachten steht dann, dass Pi überlebt habe, mit einem Tiger an Bord.

Die Frage wird gestellt: Welche Geschichte mögen Sie mehr? Die Antwort: Die mit dem Tiger. Dann: „Genauso ist es mit Gott“. Der Autor lächelt selig und schaut nach unten, schließt kurz die Augen. Zuletzt sieht man noch die Spur des Tigers im Sand. Ist somit die Tiger-Geschichte richtig? Zudem schreibt Pi auf den Zettel, den er in die Flaschenpost steckt, dass er allein mit dem Tiger auf dem Boot ist. Wenn der Tiger nur das Böse in Pi wäre, würde das ganze Drumherum mit dem Beiboot, den verloren gegangenen Lebensmitteln nicht stimmen.

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Im Grunde sagt die Geschichte zum Thema Gott: Es kommt auf den Menschen an, das zu entscheiden: Hält er es für plausibel, dass es Gott gibt – oder nicht. Wenn es Gott nicht gibt, sondern nur schlimme Realität real ist, ist Gott eine schöne Geschichte, mehr aber auch nicht. Dadurch, dass die Geschichte wie gesehen es wahrscheinlich sein lässt, dass die Tiger-Geschichte stimmt, zeigt es zu dem gegenwärtigen Reden über Gott: In Not spricht man Gott an, rechnet man mit Gott. Aber dann, gerettet, hält man in der Schwebe: War es Gott/war es nicht Gott?

Unabhängig davon muss man jedoch auch sehen, dass diese Geschichte zahlreiche Aussagen über Gott macht und auch alte Traditionen aufgreift: Gott ist Herr des Chaos-Wassers, Gott ist Schutz, Gott leitet, Gott bestraft Hochmut, Gott will die Kapitulation des Menschen und führt ihn dann ins Leben, Gott hat im Grunde alles in der Hand und freut sich, wenn der Mensch am Ziel seiner Reise (Anschmiegen an Gottes Wange) angekommen ist. Und das trifft auch zu, wenn die Version mit den Menschen richtig ist. Die schlimme Geschichte negiert nicht den Überlebenskampf auch mit Blick auf Gott.