Diskutiere die folgenden Texte:

WER IST DER MENSCH?

SEHNSUCHT NACH GEBORGENHEIT UND ANERKENNUNG

  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Er ist einer, der mit den unterschiedlichsten Rollen, die er in der Gesellschaft spielen muss, konfrontiert wird, Rollen, die sich manchmal ausschließen: Im Beruf muss er sich durchsetzen, in der Familie muss er sich einordnen, in Gruppen muss er sich unterordnen. Er ist in sich gespalten – die Gesellschaft verlangt seine Zerspaltung.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Nicht nur die Gesellschaft verlangt die Zersplitterung des Menschen, sondern er richtet sich auch selbst eine zersplitterte Welt ein: Patchwork-Familien. Einer sagte einmal: Früher hatte ein Vater vier Kinder – heute hat ein Kind vier Väter. Die ganze Palette an Schwierigkeiten, die sich aus diesen Familien-Konstellationen ergeben können – sie zerreißen den Menschen innerlich, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Auf der Suche nach Geborgenheit und Anerkennung zerstört er den Raum, in dem er Geborgenheit und Anerkennung finden kann.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Er wird von der Psychologie durchleuchtet. Ist er noch er selbst? Ist er – andere? Die Hirnforschung geht ans Eingemachte: Er hat keinen Willen mehr, ist nur Hirn-gesteuert, Genforscher sagen, er ist nur Gen-gesteuert. Die Soziologie hat ihn durchspielt, mit allen möglichen undurchsichtigen Fangfragen aufs Glatteis geführt. Mit allen Mitteln der Kunst und der Empathie wird er durch Werbung umworben, befragt, durch Google und Facebook gegläsert. Bis ins Innerste ist er durchsichtig, öffentlich, allen sichtbar. Ohne gefragt worden zu sein, getrieben durch seelische Nackt-Scanner.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Ich bin nicht so wie der andere, aber ich will wie der andere werden. Sie hat einen schöneren Busen, eine schönere Nase ein jüngeres Aussehen – ich will werden wie sie. Er hat einen schöneren Hintern, mehr Haare, stärkere Muskeln – ich will werden wie er. Er hat den besseren Job, sie hat öffentliche Aufmerksamkeit – das will ich haben. Ich habe mein Zentrum verloren, will werden wie der andere. Ich bin eigentlich nicht ich. Ich bin nur Ich in meinem Wunsch, anders zu sein. Der Mensch heute: lebenslang in der Pubertät. Er will sein Zentrum außen finden. Geborgenheit und Anerkennung – sie liegen im Wunsch verborgen.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Sein Zentrum ist: Geliebt werden, Kommunikation, Leistung erbringen, öffentlich anerkannt werden, eigene Meinung zu Gehör bringen, akzeptiert werden. Wer es sich leisten kann, erarbeitet sich Anerkennung, lässt sich Geborgenheit schenken. Wer es sich nicht leisten kann, kauft sich Ersatz: Farben, Klänge, Massagen, Prestigeobjekte, PC-Spiele, Hochleistungssport, Anpassung an Gruppen, erfüllt sich seine Träume mit billigen Imitaten. Auch mit Menschen, die neben der Spur sind. Unter ihnen bin ich wenigstens wer.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Des Menschen Ich ist im ständigem Wandel, er ist bewundernswert flexibel. Er bleibt nicht vor Ort, er bleibt nicht in seiner Zeit. Unstetig rast er mit Hochgeschwindigkeit in der Welt und der Weltgeschichte herum. Auf der Suche nach Geborgenheit und Anerkennung nimmt er Vieles in Kauf. Auch wenn er sein Zentrum verloren hat, sieht er sich dennoch im Zentrum. Er bleibt sich in seinem Egoismus treu, er ist Fremd im Körper und Geist – gleichzeitig ist er sein eigener Gott im Körper und Geist. Er verteidigt sich, eine Hülle seiner selbst mit Händen und Füßen – er verteidigt sich außersich.
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Die Sinne sprengen den Kokon. Augen nehmen Welt auf und reflektieren Welt. Ohren nehmen Geräusche der Welt auf. Haut fühlt Welt, Geruch zieht Welt in die Schleimhäute, Geschmack schmeckt Welt, der siebte Sinn ahnt Welt. Sinne sprengen den Kokon. Von außen dringt Welt ein. Und das Innere sprengt den Kokon – es will hinaus: Worte, Gestik, Blicke, Mimik, Handlungen, Tränen, Logik, Emotionen. Das Außen kommt herein, das Innen drängt hinaus. Entgrenzung pur. Gleichzeitig: Begrenzung pur. Wer versteht? Körpergrenzen, Verstandesgrenzen, Wortgrenzen, Verhaltensgrenzen, Unverstandenes Selbst, Schuld, Tod?
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Der Mensch geht über sich hinaus: körperlich, geistig, seelisch, moralisch – und sinkt unter seine Möglichkeiten. In die Höhe erhebt er sich – und fällt in die Grube. Er entgrenzt sich auf allen Ebenen bis hin zum Altruismus und zur Bestialität. Empathie in Liebe, Empathie im Hass, Empathie im Ausnützen des anderen zum eigenen Vorteil. Er entgrenzt sich durch Geld, Anerkennung, Drogen, Prestigeobjekte, weltweite Kommunikation, Wissenschaft der Gene, der Atome, des Alls, er entgrenzt seine körperlichen Befindlichkeiten. Die größte Entgrenzungsmöglichkeit des Menschen: Lebensgrenzen anerkennen (Stoa) und sich Grenzen meditativ verlierend entziehen (Buddha).
  • Wer ist der Mensch? Wer ist er heute? Er ist derjenige, der er war. Er hat Sehnsucht nach Anerkennung, Sehnsucht nach Geborgenheit. Doch Liebe und Geborgenheit kommen nur von außen. Das größte Geschenk der Entgrenzung: der Glaube. Gott allein entgrenzt die Gegenwart, Gott allein entgrenzt den Tod und lässt gleichzeitig das Zentrum finden.

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DER MENSCH – BRAINSTORMING ÜBER SEINE BESONDERHEIT:

  • Er hat Verstand und Vernunft, mit dem er sein Verhalten steuern kann,
  • er hat ein Gewissen und Moralvorstellungen und er kann beides bewusst ablehnen und grausam sein,
  • er ist nicht purer Instinkt, sondern kann sich selbst bewusst zügeln, umprägen, zum Besseren hin entwickeln,
  • kann glauben – sieht hinter dem Augenscheinlichen das Transzendente bzw. dann in einer Weiterführung: Gott
  • er kann hoffen, was ihm erleichtert, schlimme Zeiten zu überwinden, er kann sich in andere Zeiten hineinversetzen durch Träume,
  • er kann lieben, seine sozialen Kontakte bewusst gestalten, anderen Gutes tun, auch wenn sie anders gegen ihn eingestellt sind, kann sich einem Partner ganz hingeben,
  • er kann lachen und weinen, Freude und Leiden sind bei ihm besonders ausgeprägt, weil er sie bewusst wahrnimmt,
  • er weiß um seine Vergänglichkeit und um die Kostbarkeit des Lebens,
  • er weiß, dass er lebt, dass er seinem Leben einen Sinn geben kann und leidet darunter, wenn der Lebenssinn nicht erkannt wird oder verschwunden ist,
  • er hat Empathie, kann sich in den anderen hineinversetzen,
  • er kann differenzieren in Vergangenheit (Geschichte) – Gegenwart – Zukunft (Planen),
  • er kann seine Umwelt und sich selbst in Bildern, Texten, Musik, Tanz verarbeiten, wiedergeben, ausdrücken.
  • Der Mensch kann aufgrund seiner körperlichen Konstitution sprechen,
  • der Mensch hat Sprache – nicht nur Laute – und er hat Schrift,
  • er geht aufrecht, was manche nicht für einen Vorzug halten,
  • er hat kein Fell mehr, damit sein auf Hochtouren arbeitendes Hirn gekühlt ist,
  • er hat Sexualität – sie dient nicht einfach nur der Fortpflanzung, sondern er kann auch Freude daran haben, indem er sie mit einem Partner bewusst gestaltet,
  • nur der weibliche Mensch hat dauerhaft Brüste (die ausgeprägte Brust haben Primaten nur, wenn sie stillen),
  • er verändert die Vorgaben der Natur nicht nur zufällig, sondern gezielt, auf seine Bedürfnisse hin zugeschnitten, das heißt auch: Er kann abstrahieren,
  • er kann sich selbst und sein Tun von außen betrachten, aus der Perspektive anderer Menschen, aus der Perspektive Gottes,
  • er ist am wenigsten bestimmt und von daher besonders intensiv prägbar, anpassbar,
  • er kann Tiere, die nicht seiner Spezies angehören, zähmen und für sich einsetzen,
  • er lebt in einer Gesellschaft / Gemeinschaft /sozialem Umfeld, das er prägen und mit Institutionen bewältigen und sie gleichzeitig in Frage stellen kann,
  • er ist verantwortlich für das, was er tut, er allein kann Sünder sein, das Tier kann es nicht,
  • er weiß, wie man den Kühlschrank öffnet und schließt, er weiß, wie er sein Gewicht reduziert / erhöht, er kann Feuer / Energie gebrauchen, um seine Speisen zuzubereiten, damit sie ihm bekömmlicher sind.

Kurz: Der Mensch ist frei – und kann als einziges freies Wesen mit seiner Umwelt verantwortlich und unverantwortlich umgehen.

Nun kann man einwenden: auch dieses Tier weint und jenes Tier lacht, dieses Tier liebt, jenes Tier hat ein Handwerkszeug, hat Empathie und Altruismus. Man kann ebenso einwenden: Dieser Mensch hat keinen Verstand, jener ist purer Instinkt und ein anderer hat kein Gewissen. Darum geht es bei dieser Aufzählung nicht um das Individuum, sondern um die Gattung, die Spezies Mensch. Man kann die Besonderheiten des Adlers und der Fledermaus nennen: keiner fliegt, jagt, sieht / hört besser. Der Mensch ist „der erste Freigelassene der Schöpfung“ (Herder: http://www.textlog.de/5578.html ) – das hebt ihn aus allen anderen Wesen heraus.

Dass der Mensch etwas Besonderes ist, das wussten schon diejenigen, die die erste Schöpfungsgeschichte (Genesis 1) formulierten und bekannten: Der Mensch ist Ebenbild Gottes. Dass sie das machten, war nicht selbstverständlich, denn eine parallele Schöpfungsgeschichte aus Babylon sieht den Menschen aus einem ermordeten kriminellen Gott erschaffen und als Sklave für die Götter. Diese Hervorhebung ist nicht Selbstzweck – sie ist auch mit großer Verantwortung verbunden. Einer Verantwortung, dem der Mensch in seiner Freiheit nicht gerecht wurde und wird. Aber als Ebenbild Gottes erkennt er, dass er es mit der Schöpfung mit Mitkreaturen zu tun hat: Gott hat Pflanzen, Tiere, Menschen erschaffen. Wenn der Mensch vergisst, dass er Ebenbild Gottes ist, dass er Mitkreaturen hat, dann geht er verantwortungslos mit seinesgleichen und den Mitgeschöpfen um. Darum erinnert uns die Schöpfungsgeschichte daran: Du bist Ebenbild Gottes. Dass danach noch eine Menge geschehen musste, damit der Mensch wieder wahres Ebenbild Gottes wird (in und durch Jesus Christus), soll hier nur angemerkt werden.

Nur am Rande: Der Mensch ist von Gott zum verantwortlichen Umgang mit der Erde eingesetzt worden. Sonne und Planeten, wie Galaxien… – diese liegen nicht in seinem Verantwortungsbereich.