Haben Tiere Würde?

Der Begriff „Würde“ setzt den Menschen voraus. Der Mensch hat Würde. Er hat „Würde“, weil er sich vom Tier unterscheidet: Er ist ein handelndes Wesen, das bewusst handelt, das sein Handeln moralisch einordnen kann, das sich in Zeit (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) und Raum verorten kann, Verstand und Vernunft hat… Das kann ein Tier nicht – ohne Menschen als bewusst verantwortlich handelndes Wesen gäbe es im Tierreich den Begriff und die Vorstellung von Würde nicht. Selbstbewusstsein usw. haben nach unserem heutigen Kenntnisstand auch Ungeborene, Säuglinge und andere nicht. Aber sie haben Würde, weil sie der Gattung Mensch zugehören. Aus christlicher Sicht: Der Mensch ist Ebenbild Gottes als Mensch – Gott wurde in Jesus Christus Mensch. Damit hat jeder Mensch Würde. Aber das hat sich bis heute noch nicht weltweit und allgemein durchgesetzt. Die Sicht von der Bedeutung der Tiere hat im 20. Jahrhundert im Wesentlichen Albert Schweitzer, der Theologe und Arzt, in weiten Kreisen der Bevölkerung bekannt gemacht: Ehrfurcht vor dem Leben!

Beim Tier sind weder die säkularen noch die religiösen Begründungen für „Würde“ gegeben. Von daher ist der Umgang mit Tieren nicht davon geprägt, dass das Tier Würde hat – Würde, wie sie der Mensch hat – sondern die Sicht des Menschen ist auch hier dominant: Ein Mensch, der mit dem Tier nicht als Mitgeschöpf umgeht, es also quält, handelt selbst unwürdig (Kant und andere). An ihm wird deutlich, dass er die Würde, die ihm gegeben ist, nicht verantwortlich umsetzt, seine Würde ist durch die Sünde verzerrt. Er verletzt seine eigene Würde, indem er Mitgeschöpfe misshandelt.

Diese Sicht ist wichtig, weil wir Menschen wohl Tiere züchten könnten, die keine Schmerzen verspüren – von daher könnten wir mit ihnen machen, was wir wollen. Aber: Dieses Argument zählt dann nicht mehr, wenn wie oben geschrieben, der Mensch darin seine Selbstentwürdigung zur Schau stellt, wenn er Tiere als Mitgeschöpfe misshandelt. Und das tun wir im Augenblick als Gattung wohl mehr – zumindest von der Quantität her – mehr als jemals zuvor.

Das Tier bleibt Tier. Wir Menschen benutzen Tiere. Wenn wir Menschen kein Eigennutz an Tieren hätten, gäbe es auch kaum noch welche (zumindest von der größeren Art – Insekten und Ratten… ausgenommen) – außer in ein paar Reservaten: Rinder, Pferde, Schweine, Katzen, Hunde… Indem wir sie züchten und verwenden, geben wir ihnen erst Lebensmöglichkeit. Wenn wir nicht würdelos handeln wollen bzw. selbstentwürdigend, dann muss den Tieren auch ein angemessener Lebensraum zur Verfügung gestellt werden. Als Mensch – als Gattung – kann man nicht akzeptieren, wenn Menschen unangemessen mit Tieren umgehen. Religiös gesprochen: Sie sind wie der Mensch Teil der Schöpfung – und er hat so gut er kann, gut mit der Schöpfung Gottes umzugehen. Was das allerdings heißt, muss in den Gesellschaften immer wieder neu ausgehandelt werden.

Das Tier bleibt Tier – und der Mensch kann von ihm sehr viel lernen – aber erst, wenn es auch auf seine Weise geachtet wird. Wie in allen Fragen (Frieden, Opfer, Menschenrechte…) stehen wir Menschen in einem Prozess, der nicht zuletzt mit dem Apostel Paulus erkennen lernt: Alle Kreatur, alle Schöpfung ängstigt sich, wartet sehnsüchtig auf den Tag, an dem Gott sich durchsetzen wird (Römer 8,22). Es ist also mehr im Tier als einfach nur sein Tiersein. Es ist Geschöpf Gottes. Es hat wie der Mensch aus Gottes Willen heraus seinen Ursprung. Entsprechend hat der Mensch auch sorgsam mit ihm umzugehen. Tiere und Mensch sind nicht nur evolutionäre Vorstufen, sondern von Gott geschaffen, gewollt (Genesis 1).

Statt von Tier-Würde sollte man also eher von Tier-Wohl (oder Tier gemäßer Würde) sprechen: Tiere haben keine Würde – es geht um das Tier-Wohl, für das der Mensch verantwortlich ist, wenn er Tiere unter seiner Obhut hat.

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Kritik an Verallgemeinerung des Wortes „Würde“

Wenn man das Wort „Würde“ auf alles ausdehnt, auf Tier, auf Pflanzen, auf die gesamte Natur, dann nimmt man gleichzeitig dem Menschen die Würde, weil man als Mensch niemals die Natur insgesamt mit der dem Menschen angemessenen Würde begegnen kann. Das allein schon darum, weil man essen muss. Es klingt schön, zu sagen: Alles hat gleichermaßen Würde, das ist aber Illusion. Wenn man dann dem Menschen die Würde zukommen lässt, die man seinen Nahrungsmitteln zukommen lässt, ist man auch bereit, den Menschen zu entwürdigen, eben: Ihn für sich zu benutzen, wie die Nahrungsmittel. Von daher ist die Gefahr, wenn man von abgestufter Würde spricht (also Menschen haben Würde, Tiere – je nach Gattung – eine etwas andere Würde), wie Singer ( https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/verhalten-ethik/singers-praeferenzutilitarismus/ )  es im Grunde vorführt, besteht Gefahr für Menschen, dass man auch unter den Menschen abstuft, wie es im Grunde Aristoteles mit den Sklaven getan hat (https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/mensch/sklaverei/) bzw. Singer es mit Ungeborenen tut

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Eine Frage, die immer wieder begegnet: haben Tiere eine Seele?

In christlicher Tradition, basierend auf den griechischen Philosophen Aristoteles spricht man von abgestufter Seele: Pflanzen haben eine Seele, Tiere haben eine die Pflanzen-Seele aufgreifende eigene Seele und der Mensch hat eine eigene Seele, die die Tier- und Pflanzen-Seele umfasst. Dass Tiere eher der „Sache“ zugeordnet werden, ist eine Folge moderner Philosophie – seit René Descartes (17. Jahrhundert).

Gott übergeht auch nicht den Sperling, den Raben, die Schönheit der Pflanzen (Lukas 12,6.24ff.), Geschöpfe können metaphorisch verwendet werden, wie die Geschichte vom verlorenen Schaf (Lk 15,4) es zeigt: Das Schaf bekommt eine über sich hinausweisende Bedeutung für die Liebe Gottes (wie das Wort „Meta-pher“ sagt – aus dem Griechischen: über-tragen).

Gott hat alles zu sich hin erschaffen, erfahren wir im Kolosser-Brief 1,16 – und Jesaja 11,6 hat im Blick, dass in die Welt, in der es nach Gottes Willen zugeht, auch Tiere zugegen sind.