TOD UND AUFERSTEHUNG: TRAUERPHASEN

Um sich selbst in der eigenen Trauer oder andere trauernde Menschen besser verstehen zu können, ist es gut, Grundsätzliches über die Trauer und ihre Phasen zu kennen. Das folgende Modell der Trauerphasen hat die Psychologin Verena Kast entwickelt.

Trauer beginnt mit dem Verlust eines geliebten Menschen – wann sie endet, ist offen, da sie bei jeden Menschen anders verläuft.

1. Trauerphase: Nicht-Wahrhaben-Wollen

Wenn ein Mensch stirbt, erwartet oder unerwartet, können Angehörige sehr verstört, schockiert sein. Man will es nicht wahr haben, lebt zeitweise weiter, als sei dem nicht so. dennoch: Trauer ergreift den Menschen nicht allein psychisch, sondern auch der Körper wird massiv in Mitleidenschaft hineingezogen.

Mögliche Hilfen in dieser Phase

Trauernde auch in den alltäglichen Verrichtungen (Einkaufen) nicht allein lassen. Trauernden nahe sein – und sie aussprechen lassen, was sie wollen, ob es richtig ist oder falsch, und ihre Gefühle und Verhaltensweisen zulassen.

2. Trauerphase: Aufbrechende Emotionen

Gefühle brechen heraus. Nicht allein Traurigkeit, sondern auch Zorn gegen den Verstorbenen, gegen Gott, gegen Ärzte, gegen sich selbst: Selbstvorwürfe, Schuldgefühle – beherrscht den Trauernden.

Mögliche Hilfen in dieser Phase

Gefühlsausbrüche welcher Art auch immer gehören zum Trauern. Welche Art auch immer an die Oberfläche kommen: der Helfende sollte nicht anfangen zu diskutieren, sondern zuhören. Auch nicht eigene Erlebnisse erzählen, vielleicht darauf hinweisen, dass man Malen kann, Musik hören, Tagebücher schreiben,…, um die Trauer Bild oder Wort werden zu lassen.

3. Trauerphase: Suchen und Sich-Trennen

Die Nähe zum Verstorbenen wird gesucht, indem man sich an gemeinsame Erlebnisse erinnert, an Worte des Verstorbenen, Bilder, Videos ansieht. Man kommuniziert mit dem Verstorbenen, sucht seinen Rat („Was hättest du gemacht?“), erfährt ihn emotional als anwesend, übernimmt seine Tätigkeiten. Indem der Verstorbene gesucht wird, trennt man sich auch langsam von ihm und findet seinen eigenen Weg.

Mögliche Hilfen in dieser Phase

Erfahrungen des Trauernden zulassen, auch wenn man meint, sie nicht teilen zu können. Die immer wieder erzählten Erinnerungen aussprechen lassen. Nahe sein, wenn selbstzerstörerische Gedanken kommen. Helfen, neue Wege zu gehen.

4. Trauerphase: Neuer Selbst- und Weltbezug

Der Verstorbene hat seinen Platz im Herzen gefunden. Mit ihm im Herzen werden neue Lebensmöglichkeiten gesucht.

Mögliche Hilfen in dieser Phase

Sich selbst langsam zurückziehen und erkennen, dass man nicht mehr unbedingt benötigt wird..

Literatur:

Quelle: Monika Specht-Tomann, Doris Tropper, Zeit des Abschieds, Sterbe- und Trauerbegleitung, Düsseldorf, Patmos 1999

 AUS. Die Johanniter. Aus Liebe zum Leben:

www.lacrima-muenchen.de/service-wissen/hintergrundwissen/trauerphasen (2011)

Anmerkungen mit Blick auf Trauerphasen im Krieg:

Grob gesagt gibt es folgende Trauerphasen: (a) Nicht-Wahrhaben-Wollen (zeitweise lebt man so weiter, als sei der Mensch nicht verstorben); (b) Aufbrechende Emotionen (Zorn gegen Ärzte, gegen den Verstorbenen, Schuldgefühle-Selbstvorwürfe); (c) Suchen und Sich-Trennen (Nähe zum Verstorbenen wird gesucht, man erinnert sich an gemeinsame Erlebnisse, sieht sich Bilder und Videos an, kommuniziert mit dem Verstorbenen: Was hättest du gemacht…, man übernimmt seine Tätigkeiten – und lernt damit, den eigenen Weg zu gehen); (d) Zuletzt findet man einen neuen Bezug zur Welt, zu sich selbst, zum Verstorbenen.

Das heißt aber nicht, dass (b) und (c) abgeschlossen wurden. Sie können immer wieder aufbrechen, vor allem auch dann, wenn der Tod eines Kindes beklagt wird, wenn ungelöste Fragen im Raum stehen bleiben – auch abhängig vom eigenen Lebenserfolg/Lebens Misserfolg, für den man einen Grund sucht.

Wie jedes Sterben ein ganz individuelles Sterben ist, so ist auch die Trauer etwas, was ganz individuell angesehen werden muss – trotz dieser Phasen: jeder Mensch trauert auf seine Weise. Das ist für manche unerträglich. So können zum Beispiel manche Familienangehörige nicht verstehen, dass andere Angehörige schneller in den Alltag übergehen können – andere verstehen nicht, wie man nur so lange emotional trauern kann. Das kann zu Spannungen führen.

So muss man nicht nur den Grad der Nähe zum Verstorbenen beachten, nicht nur die physische und psychische Konstellation des jeweiligen Angehörigen, sondern auch die Situation, in der der Tod eingetreten ist. Ist ein Mensch plötzlich und unerwartet gestorben, so sind die Trauerphasen von einem anderen Charakter geprägt als wenn ein Mensch nach langer Krankheit und erhofftem Sterben stirbt. So kann zum Beispiel schon die Trauerphase (a) im Kontext der Verschlimmerung der Krankheit eintreten, ebenso (b). Und wenn er dann gestorben ist, kann man erleichtert hören: Er ist befreit worden, endlich ist er gestorben, vom Leiden erlöst worden.

Wenn wir nun die Trauerphasen in einem Krieg beachten, so können die Angehörigen schon irgendwie damit rechnen, dass der Soldat nicht heimkehren wird. Jeder Abschied wird dann schon zu einer Art Abschied für immer. Wenn dann der Tod wirklich eintritt, dann kann Zorn über den Krieg, die Kriegstreiber sehr dominant werden. Und an dieser Stelle wird spannend, was in den Kriegsjahren des Nationalsozialismus erkannt werden kann: Die Staatspropaganda wandte sich massiv gegen Trauer, versuchte aber dadurch auch von dem Zorn gegen Hitler und co. abzulenken. Der Heldentod wurde propagiert. Man soll nicht nur nicht traurig sein, man darf nicht traurig sein, denn der Soldat starb ja als Held für Volk und Führer. Trauer und Zorn zeigen war verpönt (s. 3.). Und wie das Beispiel unten zeigt: Wenn man diese Emotionen nicht beherrschen konnte, konnte es zum Zusammenbruch führen (s. 6.), aber auch zu einem emotionalen Erkalten.

Und wie sah es dann nach dem Krieg aus? Da durfte man trauern (s. u. 4.). Und ein Teil der Trauerphase bestand dann darin, den Ort zu suchen. An dem der Verstorbene zuletzt gelebt und gelitten hat. Erst als dann dieser Ort gefunden wurde, konnte die Trauerphase in eine ruhigere Phase übergehen. Der Verstorbene beherrschte nicht mehr die Emotionen und das Denken, sondern man hatte für ihn einen Ort im Herzen und Erinnern gefunden. Konnte also ein normales Leben weiter leben.

Unmittelbar nach dem Krieg konnte Trauer wiederum bei vielen nur sehr kurz gewesen sein, weil man einfach ums Überleben kämpfen musste, so zum Beispiel die Heimatvertriebenen. Die auf ihrer Flucht unendlich viele Tote gesehen haben und auch selbst Menschen verloren haben, die nicht mehr weiter gehen konnten und starben. Grenzenlose Trauer hätte da nur gestört. Aber auch das konnten manche nicht verstehen – so gab es Spannungen zwischen den Menschen.     

Was ist, wenn ein Mensch vermisst wurde, wenn man nicht wusste, ob er gestorben ist oder nicht? Soweit ich mitbekommen habe, ist die Hoffnung dominant, dass er doch zurück kommen wird. Um aber Gewissheit zu bekommen, ob er noch lebt – also die Hoffnung berechtigt ist -, oder gestorben ist – also keine Hoffnung mehr ist, sondern sich den Trauerphasen, die ja schon in den Menschen keimten, ausliefern konnte, haben sehr viele Menschen in der ersten Phase des Chaos alle möglichen Menschen befragt: Weißt du was von…? Und dann wurde über den Suchdienst des Roten Kreuzes gesucht – allein 2016 wurden noch 9.000 Anfragen (vor allem auch Kinder und Enkel – also die unbewältigte Trauerphase übergreift Generationen – weil es um die eigene Identität geht: Wer war mein Vater…?) gestellt. Ich kann mir denken, dass in solchen Fällen die Trauerphasen extrem gedehnt wurden, dass dann aber, weil viele das emotional gar nicht aushalten, irgendwann die Trauerphase (d) eintreten muss: Man findet neuen Weltbezug (ohne (a) bis (c) wirklich begriffen zu haben). Wie am Beispiel unter 4. zu sehen ist, hat die Frau sehr schnell wieder geheiratet, auch das konnte passieren. Nicht unbedingt, weil Liebe im Spiel war, sondern die Frage der Sicherheit dominant im Raum steht. Hier denke ich, dass dann – je nach Mensch – auch die Trauer einfach in sich verkapselt wird. (Erinnere mich an Wolfgang Borchert: Draußen vor der Tür. Der Kriegsgefangene Beckmann kommt nach drei Jahren wieder heim – und die Gesellschaft hat sich massiv verändert, will von der Vergangenheit gar nichts mehr wissen.)