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LEIDEN UND GOTT – GOTT UND LEIDEN

1. Woher kommt Leiden? Was lässt Menschen leiden?

Leiden ist etwas, das alle Menschen gleichermaßen betrifft – aber Menschen leiden an den gleichen Ereignissen unterschiedlich. Je nach Stimmung, nach Körperkraft, nach psychischer Einstellung. Manche Menschen sind im Leiden stark – manche Menschen geben sehr schnell auf.

Auch wenn nicht verständlich ist, warum Menschen leiden müssen, versucht der eine oder andere Philosoph, darauf eine Antwort zu geben. So Leibniz:

  • Malum metaphysicum: die Schöpfung ist unvollkommen – sonst wäre sie Gott.
  • Malum physicum: Schmerz und Leid sind nützlich, weil sie vom Schädlichen abhalten und zum Nützlichen hinführen
  • Malum morale: das sündige Tun, das sich von Gott abgewendet hat, führt zum Leiden.

Voraussetzung dieser Sicht: Die Welt ist der Vernunft zugänglich – nichts ist widervernünftig, das heißt: Die Welt ist trotz ein paar Mängeln gut.

Dazu gehört aber auch zu verstehen, dass:

  • Gottes reiner Wille darin besteht: Er gibt Vernunft, um das Übel wahrzunehmen und zu verhindern. Das bedeutet aber: Der Mensch kann Übel wahrnehmen, somit auch leiden.
  • Darum wägt Gott ab: Ist es besser, der Mensch bekommt Vernunft oder bekommt er sie nicht, damit auch keine Möglichkeit, Übel wahrzunehmen, somit merkt er auch keine Leiden? (Wie Tiere auch keine Vernunft haben, entsprechend Übel nicht wahrnehmen können.)
  • Gott kommt zu dem Entschluss: Es ist besser, der Mensch hat Vernunft, damit hat er aber auch die Möglichkeit, Übel wahrzunehmen, zu leiden – und zu bekämpfen.
  • Die Freiheit des Menschen bedeutet: Vernunft ist jedoch nicht nur ein Gegenpart zu den Übeln, denn: Der Mensch kann die Vernunft missbrauchen, somit dient auch die Vernunft der Leidvermehrung.
  • Gibt es mehr gute Vernunft in der Welt, die das Übel bekämpft? Wenn nicht, wäre Gott nicht gut, er würde den Menschen über die Maßen leiden lassen. Kosmosweit gesehen muss dem so sein, so Leibniz, denn sonst wäre die Welt nicht grundsätzlich gut.

2. Woher kommt das Böse?

Es gibt in den Religionen verschiedene Vorstellungen über das Böse, über das, was Menschen leiden lässt, Leben einschränkt, verhindert:

  • Hinduismus/alte Griechen: Götter sind wie Menschen gut und böse und launisch. Ist das Opfer/Verhalten des Menschen nicht richtig – zeigen sie sich von der dunklen Seite und der Mensch muss leiden.
  • Dualismus: Gott/Götter sind gut – sie haben böse Geister/Götter als Gegner, die dem Menschen schaden.
  • Islam: Menschen müssen annehmen, was Allah schickt – denn er prüft sie.
  • Buddha: Götter spielen keine Rolle – aber das Verhalten des Menschen in seinem vorangegangenen Leben und das Verhalten des Menschen in diesem Leben ist gut oder böse und hat entsprechend Auswirkungen auf die Lebensqualität des kommenden Lebens.
  • Atheismus: Böses muss nicht „böse“ sein. Das „Böse“ ist eine religiöse Vorstellung. Aggressionen dienen der Selbsterhaltung – und können von anderen nur als böse interpretiert werden, als Leben einschränkend.

3. Die Theodizeefrage

Man nennt die Frage danach, wie Gott und Leiden zusammenpassen: Theodizeefrage. Das heißt es geht um die Frage: Ist Gott gerecht, wenn er den Menschen leiden lässt? Diese Frage kann nur aufbrechen, wenn Menschen an einen liebenden Gott glauben. Dann versuchen sie die Liebe Gottes mit ihrem Leiden in Verbindung zu bringen. In christlicher Tradition gibt es unterschiedliche Antwortversuche (weitere siehe: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/gott/theodizee-3-zusammenfassung/ ):

  • Gott lässt dem Bösen Raum, damit der Mensch verantwortlich handeln kann.
  • Gott will, dass der Mensch – im Unterschied zum Tier – frei ist: und dazu gehört auch, dass er sich dann verantwortlich verhält – mit der Konsequenz, dass er auch Leiden verursacht und selbst angesichts des Leidens seinen Weg in Verantwortung finden muss.
  • Leiden = Erziehung, Prüfung usw.
  • Es gibt auch dunkle Seiten Gottes – das heißt: Seiten Gottes, die der Mensch nicht oder nur schwer als „Liebe“ Gottes versteht, verstehen kann.

4. Versuche des christlichen Glaubens mit Leiden umzugehen

  • Klagen, Beten (Hiob, Jesus am Kreuz: „Gott, warum hast du mich verlassen?“) – das heißt: sich im Leiden Gott zuwenden, auch wenn man Gottes Handeln nicht versteht.
  • Tatkräftig gegen die Ursache des Leidens angehen (Jesus Christus: Wunder, Ethik).
  • Angesichts des Leidens von Jesus Christus, dem Sohn Gottes, am Kreuz: Gott ist auch in unserem Leiden anwesend, auch dann, wenn wir ihn nicht spüren sollten.
  • Angesichts der Auferweckung von Jesus Christus: Gott kann den Menschen auch durch das extremste Leiden zu sich führen. Leiden und Tod sind nie das Ende, sondern den Menschen erwartet Leben bei Gott.
  • Gott schenkt durch Jesus Christus die Hoffnung, dass er allem Leiden ein Ende bereiten wird. Es handelt sich um die eschatologische Hoffnung, die Hoffnung, dass Gott seine Welt vollenden wird.
  • Diese guten Worte, die Mut, Kraft, Zuversicht schenken – sind allerdings Worte, die kraftlos bleiben können. Das vor allem auch dann, wenn Menschen selbst von ihrem Leiden gefesselt werden. Jeder Mensch muss sich in seinem jeweiligen Leiden neu zu Antworten hindurchringen. Glaubende dürfen sich in den Tiefen zusagen lassen: Auch wenn ich von Gott nichts spüre – ist er anwesend und möchte mir Kraft und Vertrauen schenken – wie Jesus am Kreuz… Kann ich das zulassen? Obwohl man das alles weiß, tun solche guten Worte jedoch auch gut und sind nicht zu verschweigen und zu verachten.

5. Versuche anderer Religionen mit Leiden umzugehen

(in Anlehnung an: B. Scherer: Die Weltreligionen. Zentrale Themen im Vergleich, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2003)

  • Judentum: Wir wissen nicht, warum Menschen leiden müssen – Leiden als Prüfung und Herausforderung für den Glauben: aber wir bleiben dennoch bei Gott.
  • Islam: Menschen leiden – und man soll ihm mit Dankbarkeit und Geduld begegnen. Leiden ist Prüfung und Allah wird später Menschen – je nach ihrem Verhalten – belohnen oder bestrafen.
  • Hinduismus/Buddhismus: Leben ist Leiden – es gilt, sich von allem zu lösen, was Leiden verursacht. Das Gesetz von Ursache und Wirkung (Karma) erklärt das Leiden: Die Worte und Taten des Menschen (im früheren Leben) haben sein Leiden verursacht. Leiden ist Reinigung vom schadenden Karma. (Über die Aussagen bei Scherer hinaus: Es gibt auch im realen Hinduismus und Buddhismus Götter, die man bitten kann, das Leiden zu nehmen. Leiden = Schaden, den böse Geister den Menschen zufügen.)
  • Hinzu kommt noch die Frage: Wie sehen Atheisten das Leiden? (Atheisten = Es gibt keinen Gott): Leben besteht aus lauter Zufällen, die ich versuchen kann zu beeinflussen. Leiden gehört zum Leben einfach dazu – wie der Tod, der ohne Elemente der Hoffnung gesehen wird.

6. Theologische Reflexion: Empfindsame Psyche

Leiden muss jedes Lebewesen – manche nehmen es wahr, manche eher weniger bzw. gar nicht, obgleich (fast) jedes Lebewesen einen Fluchtreflex hat, um der Gefahr, dem Leiden zu entgehen. Dieser Fluchtreflex dient dem Überleben – und wer am stärksten ist und am besten Gefahren entfliehen kann, hat die besten Chancen zu überleben – somit ist er ein erfolgreiches Element im Evolutionsprozess.

Der Mensch jedoch kann leiden. Er hat eine empfindsame Psyche. Er hat eine Psyche, die eigenes Leiden und fremdes Leiden wahrnehmen kann. Aufgrund dieser Fähigkeit, fremdes Leiden wahrzunehmen – wird seine Stärke, sein Egoismus (im Idealfall) ausgehebelt und somit wird die Evolutionsthese vom Überleben des Stärkeren eingeschränkt. Die Psyche des Menschen kann auch so empfindsam sein, dass er dann, wenn er sich als egoistisch und mörderisch erwiesen hat, durch Traumata lahm legen kann – das heißt: Die empfindsame Psyche des Menschen scheint der Lehre vom Überlegensein des Stärkeren entgegenzustehen.

Die Empfindsamkeit der Psyche, die eigenes Leiden, durch sich selbst verursachtes Leiden oder das Leiden der anderen wahrnimmt, hebt den Menschen über sich selbst hinaus, hebt ihn über die Theorie der Evolution hinaus. Die Empfindsamkeit des Menschen für Leiden, seine Leidensfähigkeit muss damit zu tun haben, dass Gott ihm diese Empfindsamkeit ermöglicht. Denn von der Evolutionstheorie her gesehen, sind alle Leidempfindsamen schwach, legen sich selbst lahm und müssten entsprechend ausgestorben sein.

Gerade weil wir Menschen von Gott ermöglicht bekommen haben, eigenes und fremdes Leiden zu empfinden, verstehen wir Gott nicht, der dieses Leiden zulässt bzw. der es zulässt, dass wir Leiden empfinden, es uns psychisch beschäftigt, angreift, verstört. Gerade das, was unser Menschsein auch ausmacht, es gegenüber anderen Geschöpfen ganz besonders auszeichnet, eben bewusste Leidempfindung, will uns von Gott trennen.

Durch bewusste Leidempfindung macht Gott uns Menschen zu dem Besonderen: zu menschlichen Menschen. Damit haben wir etwas von Gott mitbekommen, das ihn auch selbst bestimmt: Er leidet mit uns – und weil er dieses Empfinden hat, sorgt er sich dafür, dass wir miteinander sozial umgehen, dass wir Leiden vermeiden.

Letztlich zeigte er seine Leidensfähigkeit im Sterben Jesu Christi am Kreuz. Leiden widerspricht Gott nicht – wir leiden, weil uns das mit Gott eint.

7. Authentische Theodizee

Die Frage der Theodizee ist eine der Philosophie – auch wenn sich Philosophen damit sehr zurückhalten, sie zu bedenken. Wesentlich ist sie eine Frage der Theologie. Doch man kann auch an authentischen Menschen sehen: Wie gehen sie mit dem Leiden um? Auch wenn sie literarischer Natur ist, so kann man an Hiob eine Menge erkennen. In den Rahmen der authentischen Theodizee ist vor allem im christlichen Bereich Jesus Christus anzuschauen: Wie geht er mit seinem Leiden und dem Leiden anderer um? Wie spricht Paulus über sein Leiden? Die vor allem aus dem katholischen Bereich bekannten Heiligen-Viten zeigen, wie Menschen als Christen im Leiden mit dem Leiden umgehen. Auf diesen Seiten wird das hauptsächlich an den Mitgliedern der Weißen Rose dargestellt: https://evangelische-religion.de/ReligionNeu/gott/theodizee-sophie-scholl-weisse-rose/

8. Fragen zum eigenen Weltbild mit Blick auf die Theodizee-Frage

Welcher Aussage, welchen Aussagen stimmst Du zu?

1. Block

  1. Alles ist Zufall
  2. Es gibt keinen Zufall, alles ist in einem Handlungsgeflecht verbunden bzw. aus Kausalzusammenhängen heraus zu erschließen.
  3. Es gibt einen Tun-Ergehen-Zusammenhang. (Hinduismus: Was ich jetzt tue, das hat Auswirkungen auf mein kommendes irdisches Leben; Altes Testament: Was ich jetzt tue, das hat Auswirkungen auf mein jetziges Leben.)
  4. Alles ist Schicksal (Schicksal – es wird geschickt, von jemandem: Götter – also der Begriff wird hier religiös konnotiert, anders als der Begriff Zufall.)
  5. Leiden hängt mit negativen Mächten zusammen: Geister (auch Ahnengeister), Dämonen, Satan…
  6. Es ist alles Natur.

2. Block

  1. Alles hängt von Gottes / der Götter Planen ab. Gott ist nicht beeinflussbar (vgl. Islam, zum Teil christliche Prädestinationslehre).
  2. Gott muss allem, was geschieht, zustimmen (vgl. Hiob).
  3. Man kann mit Gott „verhandeln“ (Gebet, Opfer, gutem Handeln).
  4. Gott mischt sich nicht ein (Deismus).
  5. Gott handelt nicht – er tröstet nur Menschen, macht sie mutig, die Situation zu ändern…
  6. Leiden = Gott straft; Nicht-Leiden = Gott belohnt.
  7. Göttliches Handeln und menschliches Handeln greifen ineinander.

3. Block

  1. Es gibt weder Gott noch Mächte – alles hängt vom Menschen ab im Guten wie im Schlechten.
  2. Der Mensch muss sich – wem und was auch immer – anpassen.
  3. Der Mensch kann letztlich alles rational durchdringen und somit auch beeinflussen.

Wenn Du Deine Antworten überblickst: Welche Folgen haben sie für das Individuum – für die Gesellschaft?

Welche Folgen haben andere Aussagen für das Individuum, für die Gesellschaft?

Literatur:

Esther Maria Magnis: Gott braucht dich nicht. Eine Bekehrung, Rowohlt, Reinbek 2012; über dieses Buch: http://www.theologie-und-literatur.de/fileadmin/user_upload/Theologie_und_Literatur/Magnis-Rezension.pdf

Eric Metaxas: Wunder. Entdeckungen eines Skeptikers. SCM-Verlag Holzgerlingen, 2015