Daten und historischer Kontext um Maria/Mirjam – Spurensuche im Knäuel historischer Vielfalt

Maria/Mirjam, Mutter Jesu

  • Ca. 20 v.Chr. geboren – in Nazareth?
  • Laut dem Matthäus- und dem Lukasevangelium wurde dem jungen Mädchen eine ganze Menge zugemutet: nicht unbedingt die frühe Geburt ihres Erstgeborenen, sondern die Empfängnis vor der Heirat mit Josef – was mit Steinigung hat geahndet werden können. Josef hat Jesus aber als Vater angenommen – somit gilt die soziale Vaterschaft. Der „Geist“ (Ruach) ist im Hebräischen feminin – kann also nicht „Vater“ sein – sie ist Gottes Schöpferkraft. Somit ist Josef der soziale Vater.
  • Jesu Geburt ca. 5 v. Chr.
  • Mk 6 heißt es: Ist Jesus nicht der Zimmermann, der Sohn der Maria? Das heißt: Josef dürfte um das Jahr 27 n. Chr. schon länger gestorben sein. Vielleicht wird auch die Jungfrauengeburt vorausgesetzt.
  • Sie war Mutter von vier weiteren Söhnen und hatte auch eine unbekannte Anzahl an Töchtern (spätere Zeiten interpretieren die Kinder als adoptierte Kinder, die Josef in die Ehe gebracht hat).
  • Als Jesus 30 n. Chr. hingerichtet wurde, war Maria ca. 45-50 Jahre alt.
  • Um das Jahr 70, als das Markus-Evangelium veröffentlicht wurde, müsste Maria ca. 85-90 Jahre alt gewesen sein.
  • Eine Überlieferung spricht davon, dass Maria in Ephesus gestorben ist. In diesem Kontext entstand die Marienkirche.

Städte, mit denen Maria in Verbindung gebracht wird

Jerusalem

  • 70 n. Chr. wurde Israel von den Römern unterworfen.
  • Christen flohen schon in den Jahren vorher in die umliegenden Länder.

Ephesus

  • Ephesus (im Westen der gegenwärtigen Türkei) war mit dem ägyptischen Alexandria die größte Stadt im oströmischem Reich.
  • Nach Jesu Hinrichtung missionierte die junge christliche Gemeinde. Apollos dürfte in Ephesus schon vor dem Jahr 50 die erste Gemeinde gegründet haben.

Menschen und Texte, die etwas zu Maria zu sagen haben

Johannes

  • Johannes schreibt im Prolog seines Evangeliums, dass alle Glaubenden nicht nach dem Willen eines Mannes geboren wurden. Das heißt: Jungfrauengeburt wird im übertragenen Sinn verstanden – auf alle Glaubenden übertragen.
  • Johannes, der Jünger Jesu, wurde im Kontext der Kreuzigung laut Johannesevangelium der Maria zugewiesen und Maria dem Johannes – das bedeutet: gegenseitige Fürsorge.
  • Das Johannesevangelium beinhaltet eigenartige Texte, die ein ambivalentes Verhältnis zwischen Jesus und Maria erkennen lassen (ähnlich auch das Markusevangelium 3,31ff.).
  • Die Überlieferung sagt, Johannes und Maria seien nach Ephesus gezogen.
  • Zu vermuten ist: spätestens im Kontext des Krieges 70 n. Chr.
  • Gestorben ist Johannes zwischen 98-117 (Regierungszeit Trajans)?

Paulus

  • Paulus wurde ca. 32 n. Chr. Christ und begann mit der Verkündigung. Er wirkte ca. 3 Jahre ab 52 n. Chr. in Ephesus. Ca. 55 spricht er im Brief an die Galater, dass Jesus von einer Frau geboren worden sei. Warum er das Selbstverständliche betont, ist nicht bekannt. Um wie das Johannesevangelium hervorzuheben, dass kein Mann daran beteiligt war?
  • Möglicherweise wurde er um 62 n. Chr. unter Nero in Rom hingerichtet.

Sondergut des Lukas

  • Die Datierung des Sondergutes (Geburtsgeschichten) ist kaum möglich. Indizien zeigen, dass es schon sehr alt ist. Es wird sehr stark auf Israel fokussiert, hat kaum christliche Anklänge, verbindet die Johannes der Täufer Tradition mit der frühen Jesus Tradition. Informationen von Maria könnten verarbeitet worden sein. Weist allerdings schon intensive theologische Reflexion auf. Historisch korrekte Angaben werden mit Glaubensaussagen verbunden.
  • Maria (die ca. 25 jährige Mutter) wird in den Texten als eine dargestellt, die nicht so richtig versteht – so zum Beispiel, als es um den Auftritt ihres 12 jährigen Sohnes Jesus im Tempel geht. Aber: Sie bewegte alles in ihrem Herzen – ist somit Vorbild für die Glaubenden.
  • Gleichzeitig, das ist wichtig: Maria stimmt dem zu, was Gott mit ihr vorhat! Auch ihr freier Wille wird respektiert.
  • Zum Sondergut gehört auch das Wort: Eine Frau ruft, dass diejenige selig ist, die dieses Kind (also Jesus) genährt hat. Jesus relativiert auch hier die Rolle der Maria, indem er auf die Menschen weist: Selig, die Gottes Wort hören und bewahren.

Evangelist Lukas

  • Der Evangelist stammt vermutlich aus dem Bereich um Ephesus.
  • Vielleicht war er ein Begleiter des Paulus – hätte aber eine eigenständige Theologie entwickelt. Von daher trennt man den Paulusbegleiter (geboren in Antiochia) vom Evangelisten (Namensverwechslungen!). Wenn er aus dem Umfeld von Ephesus gekommen sein sollte, hätte er bis 90 n. Chr. intensiven Kontakt zur Maria-Tradition haben können (s. oben „Ephesus“). (Während das Mt-Ev Josef in den Fokus rückt, rückt das Lk Maria ins Zentrum.)
  • Lukas reiste wohl nach den Kriegshandlungen nach Israel, kam spätestens dort in Kontakt mit einem teil des Sonderguts.
  • Er veröffentlichte sein Evangelium und später die Apostelgeschichte. (Manche datieren es auf 60-65 – andere auf 90. Überlieferungen sprechen von seinem Sterben 63 n. Chr.)

Apostelgeschichte des Lukas

  • Maria wird als eine genannt, die der Gemeinde angehört (1,14).

Evangelist Matthäus

  • Die Frauen, die Matthäus im Stammbaum erwähnt, haben eine sonderbare Vergangenheit (z.B. Tamar forderte auf eigenartige Weise ihr Recht ein, Ruth war Moabiterin; Bathseba wurde von David unter kriminellen Umständen zur Frau genommen – alle Frauen sind äußerst gefährdet gewesen – zuletzt kommt Maria. Soll auch die Eigenart der Empfängnis angedeutet werden (Menschen haben sich sicher das „Maul zerrissen“ angesichts dieser sonderbaren Empfängnis) – oder soll sie gerade als die Reine den „Unreinen“ entgegengesetzt werden?
  • Die Berichte von der Jungfrauengeburt sind unabhängig von denen des Lukas.

Fazit:

Wenn Maria in der frühen Gemeinde eine Rolle gespielt haben sollte – wie zum Beispiel der Bruder Jesu, Jakobus, dann dürften auch frühe Berichte über Jesus als Kind im Umlauf gewesen sein, ebenso über die Befindlichkeit der Maria. Auf den ersten Blick ist eigenartig, dass wir so wenig aus der Zeit vor dem öffentlichen Auftreten Jesu wissen. Das mag damit zusammenhängen, dass den frühen Christen etwas anderes besonders wichtig war: Gottes Handeln durch Jesus und der Versuch, Kreuz und Auferstehung zu verstehen. Das bestimmte die Verkündigung. Interesse an Maria und Jesus vor seinem öffentlichen Auftreten kommt erst richtig Ende des 2. Jahrhunderts (Protevangelium des Jakobus) auf. Diese Darlegungen wurden für das spätere Christentum relevant.

Überlegungen

Seit wann haben eigentlich Protestanten eine gewisse Distanz zu Maria? Obgleich eine gewisse Annäherung in letzten Jahrzehnten hier und da erkennbar ist. Zumindest bei dem bedeutenden und einflussreichen Theologen Karl Barth. Er soll kurz vor seinem Tod (10.12.1968) gesagt haben (8.12.1968): „man habe wohl diese ganze Frage der Mariologie theologisch doch noch nicht aufgearbeitet und man müsse sie auch evangelischerseits noch einmal von Anfang an durchdenken“ (so Ivan Podgorelec).

Viele Protestanten distanzierten sich von der Frau, die Gott erwählte, obgleich sie im Glaubensbekenntnis immer sprachen: Jesus – empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria. Sie distanzierten sich wegen der theologischen Auswüchse – verständlich. Luther ehrte sie – aber er ehrte nicht die Auswüchse.

Sie also übergehen? Nein. Sie gehört zu uns. Lukas schreibt, dass Elisabeth sie „die Mutter meines Herrn“ – also Gottes – bezeichnet hat. Christen bekennen sich zur unvergleichlichen Besonderheit Jesu – und seine Mutter Maria gehört in einer ganz besonderen Weise dazu – in der Weise, in der auch Matthäus und Lukas sie bekennen.

Ein ständiger Stachel für die Vernunft, die sich über den Glauben erhebt, die sich nicht vom Glauben durchdringen lässt. Ein spannender Teil unserer Kirchengeschichte.

DVD: Ihr Name war Maria, Regie: Giacomo Campiotti, PidaxFilm 2012