TOD UND AUFERSTEHUNG: STERBEPHASEN
Wenn das Leben nicht durch einen plötzlichen Unfall oder durch einen weiteren plötzlichen Tod beendet wurde, müssen die meisten Menschen Sterbephasen durchleben. Diese Sterbephasen wurden von Kübler-Ross zuerst intensiv beobachtet und untersucht und von anderen wurden diese Untersuchungen präzisiert und ergänzt. Diese Phasen sind folgendermaßen zu kennzeichnen:
- 1. Nicht wahr haben wollen (Michels: implizite und explizite Leugnung) + Isolierung
- 2. Zorn
- 3. Verhandeln
- 4. Depression
- 5. Zustimmung
- 6. Hoffnung
Ähnliche Phasen kann der Mensch auch in Lebenskrisen durchlaufen, so zum Beispiel in sehr schweren Krankheiten (so Erika Schuchardt). In diesen gehen den genannten Sterbephasen voran:
- – Ungewissheit (bzw. Unwissenheit und Unsicherheit [Sporken])
- – Gewissheit
- Und nach der letzten Phase 6 folgt noch:
- – Aktivität/Solidarität mit anderen
Freilich bedeutet das nicht, dass jeder Mensch jede Phase in entsprechender Intention durchmachen muss. Es gibt immer auch Spielräume der Schwere und der Dauer.
1. „Nicht-wahr-haben-wollen“ und Isolation
Ich möchte beide Punkte trennen, da sie Ausdruck unterschiedlicher Verhaltensweisen sind. Darum:
1a) Nicht-wahr-haben-wollen
Der Mensch möchte nicht wahr haben, dass sein Leben endlich ist. Sicher, er weiß das, aber es ist ein Unterschied, ob man das allgemein weiß oder ob man sich selber mit dem Gedanken, dem Gefühl abfinden muss, dass man alles verlassen muss. Menschen, Umfeld, dazu gehört Natur (Sonne, Licht, Grün, Blumen, Vögel). Es ist wie bei einem erzwungenen Umzug, bei einem erzwungenen Abschied, nur vollständiger, endgültiger.
Dieses „Nicht-wahr-haben-wollen“ ist noch der Versuch, sich von einem Teil seines künftigen Lebens zu isolieren bzw. diesen unliebsamen Teil von mir abzutrennen: Es kann doch nicht sein, dass mich das trifft, weil ich ein anderes Bild von mir selbst habe. Ein gesundes, junges …
1b): Isolation
Die Isolation ist von zwei Seiten aus zu betrachten. Zunächst einmal lebt der Mensch in Verbindung mit anderen Menschen, in seinem alltäglichen sozialen Umfeld. Und diese Menschen haben normalerweise Angst vor dem Tod, sie wollen sich nicht damit beschäftigen und jeder Todkranke ist ein Bote dieses „Selbst-einmal-sterben-müssens“. Er kann nichts dafür, aber er ist es nun einmal. Und darum isoliert man sich von ihm, wenn er von seinen Ängsten und seiner Krankheit spricht.
Andererseits merkt der Kranke diese Isolationsbestrebungen und verhält sich so, dass er dieser Isolation entfliehen will. Er will nur dem Menschen von seinen Ängsten berichten, mit dem Menschen über seine Krankheit sprechen, bei dem er die Isolierung nicht fürchten muss. Aber das gelingt nur in begrenztem Maß, da der körperliche Verfall irgendwann einmal nicht mehr zu verbergen ist. Und so isoliert sich der Kranke selbst, weil er vor der Isolation durch andere Menschen Angst hat.
Noch ein dritter Aspekt sei genannt: Die Krankheit isoliert nicht selten auch selbst dadurch, dass sie den Menschen lähmt. Er mag und kann nicht mehr.
1c) Versuche, das Leid durch Bitten abzuwenden
Im Sinne von: Not lehrt beten. Gott, das Schicksal, bestimmte Verhaltensweisen werden herangezogen, damit ich von dieser Bedrängnis befreit werde. Zu dem „Nicht-wahr-haben-wollen“ gehört, dass man noch Wege sucht, der Bedrängnis zu entfliehen oder in Erfahrung bringen zu wollen, dass es nur eine Bedrängnis ist, die vorübergehend ist. Das ist die Zeit, in der Wahrsagerinnen, Sterndeuter, Gesundbeter und andere Hochkonjunktur haben.
2. Zorn, Groll, Wut, Neid
Warum ich – und nicht der andere? Und dieses „Warum ich“ führt dazu, dass der ganze Zorn auf die Umgebung gegossen wird: Ärzte, Krankenschwestern, Pfarrer, Familienangehörige… müssen schon bei den kleinsten Kleinigkeiten mit diesem Zorn rechnen. Zorn wird auch darüber geäußert, dass nicht der nutzlose, unfromme andere Mensch von diesem Schicksal ereilt wird, sondern ich, der nützliche, gute, fromme. Andere genießen das Leben und ich kann es nicht, ich erfahre meine Grenzen massiv. Der Bewegungsradius ist eingeschränkt, mein Einflussbereich, ich bin angewiesen auf andere, die nicht das tun, was ich will. Die Menschen der Umgebung nehmen den Zorn persönlich und das führt weiter zur genannten Isolation.
3. Verhandeln
Dieses „Warum“ aus Punkt 2 wird Gott, dem Schicksal – wem auch immer – zugerufen. Doch Gott reagiert nicht. Wie ein Kind zu verhandeln beginnt, dem die Bitte nicht gewährt wurde: wenn ich das tue … darf ich dann? Ich bin dann immer lieb … darf ich dann? So auch wir gegenüber Gott bzw. dem Schicksal: Gott, ich werde dann immer zu dir beten; oder ohne Gott: Wenn ich wieder gesund werde, werde ich mich immer an gesunde Ernährung halten, nicht mehr rauchen … Das ist alles sehr verständlich, weil wir im alltäglichen Leben seit Kindesbeinen an, solche Verhaltensweisen an den Tag legen. Gleichermaßen wissen wir freilich auch, dass wir solche Versprechen nicht lange halten. Hinter solchen Versprechen ist aber noch etwas anderes erkennbar: das Schuldgefühl. Wenn wir Gott versprechen, mehr zu beten, dann haben wir von uns selbst den Eindruck, dass wir es zu wenig tun. Wenn wir versprechen, uns besser zu ernähren, dann haben wir in dieser Hinsicht ein Schuldgefühl. Gleichzeitig ist sichtbar, wie der Adressat eingeschätzt wird: Gott – will mein Gebet, sonst ist er böse; mein Körper als Adressat will gesundes Essen, sonst bestraft er mich.
4. Depression
Gott, das Schicksal, der Körper gehen auf all meine Aktivitäten nicht ein. Es half weder die Bitte, noch der Zorn, noch das Verhandeln. Damit bin ich am Ende. Mir fällt nichts mehr ein, das ich noch tun könnte. Und mir wird deutlich, dass es nie mehr so werden wird wie vorher. Weder mein Aussehen, wenn es sich um eine schwere Krankheit handelt, noch mein Leben überhaupt, wenn das Sterben unausweichlich ist. Auch das soziale Leben ist kaum mehr zu bewältigen, das vor allem, wenn es sich um eine langwierige Krankheit handelt. Finanzen und Familie lassen sich nicht mehr ins Lot bringen. Alles ist anders – und ich kann nichts dazu tun, damit es sich wieder einrenkt. Partner trennen sich, Kinder entfremden, wie schnell ändert sich alles am Arbeitsplatz, und man kennt sich nicht mehr aus. Man kann auch andere nicht mehr aufheitern, ihnen Mut zusprechen.
5. Zustimmung
Sind alle Stufen durchlaufen, hat man sich sozusagen durchgekämpft, dann beginnt die ruhigere Phase. Sie ist sicherlich auch Folge des Ermattens, Ermüdens, nur werden diese Phasen des Schlafs, wie Kübler-Ross sie darstellt, nicht dazu genutzt, um Kraft zu bekommen für neue Empörung bzw. Depressionen, sondern es ist ein „Zur-Ruhe-kommen“. Es ist nicht Glück, sondern eine Art Abschalten. Man möchte auch allein sein, nicht mit Problemen anderer konfrontiert werden. Schweigen ist die neue Art der Kommunikation. Und das fällt den Angehörigen meistens schwer, und sie lassen den Abschiednehmenden auch in Ruhe.
(6. Hoffnung)
Hoffnung ist eigentlich kein anschließender Punkt, sondern ein Aspekt, der diese gesamten Phasen durchläuft: Hoffnung auf ein neues Medikament, Hoffnung auf die Selbstheilung des Körpers, Hoffnung auf Gottes wunderbares Eingreifen. Sobald die Hoffnung aufhört und in Zustimmung zu dem Ergehen übergeht, ist häufig das Ende nah.
(7. Selbsthilfegruppen)
Wenn es nicht um Sterben geht, sondern um Bewältigung von sehr schwerer Krankheit und Not, dann wenden sich manche denen zu, die entsprechende Not erleben. Man solidarisiert sich, gründet Selbsthilfegruppen bzw. engagiert sich in ihnen für andere.
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Das Interessante an diesen Phasen ist, dass wir, wenn alles normal abläuft, nicht darum herumkommen. Sicher haben manche Patienten lange Zornphasen hinter sich, andere dafür, meistens, wenn sie das Sterben schon im Leben eingeübt haben, längere Phasen der Zustimmung. Selbst Kübler-Ross kam nicht darum herum: Sie erhob in ihrer Krankheit schwere Vorwürfe gegen Gott – was sie dann in der Phase der Gesundung wieder zurückgenommen hat.