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Theologie des Neuen Testaments
Einleitung
Jesus von Nazareth war gestorben. Er wurde als der von Gott Auferweckte erfahren. Darüber machten sich die frühen Christen Gedanken und versuchten, Gott aus der Perspektive Jesu Christi heraus zu verstehen. Aber immer wurde der Mensch in diese Konstellation einbezogen, es wird nicht über Gott nachgedacht, ohne den Menschen zu berücksichtigen. Aus der Perspektive von Christen wurde Gott in Jesus Christus Mensch. Das bedeutet, dass über Gott nicht sinnvoll spekuliert werden kann, sondern Überlegungen über Gott immer von Jesus Christus auszugehen haben.
Nachdem also die Jünger den auferstandenen Jesus Christus erfahren haben, haben sie das Leben und die Lehre Jesu aus der Perspektive der Auferstehung in Erinnerung gerufen. Sie begannen langsam zu verstehen, was das alles zu bedeuten hat, wie man das alles interpretieren kann. Leider wissen wir nicht mehr so genau, was die einzelnen Jünger gelehrt haben, was die Nachfolgerinnen vor Ort lehrten. Wir bekommen nur mit, wie Gruppen, die an der Logienquelle arbeiteten und Worte Jesu sammelten, wie der Apostel Paulus und die Evangelisten Markus, Matthäus, Lukas und Johannes ihren Glauben auf der Basis der Jesus-Verkünder formuliert haben. Die späteren Autoren stehen wieder auf deren Schultern, so die Autoren der so genannten Deutero-Paulinen (Kolosserbrief, Epheserbrief, Timotheus, Titus und 2. Thessalonicherbrief), der Autor des Hebräerbriefes, die Autoren der Petrusbriefe, der Apokalypse des Johannes, der Johannes- und des Judasbriefes und die Autoren von Texten, die wir nicht im Neuen Testament finden, die aber sehr früh sind: Didache, Hirt des Hermas, der Barnabasbrief und das Thomasevangelium. Wie an den vier Evangelien und den anderen Werken zu sehen: Sie umkreisen das Geheimnis Gottes, das sie in Jesus Christus berührt hat. Wie für Gott nicht nur ein Hoheitstitel verwendet wird, sondern unterschiedliche und einander widersprechende (Turm, König, Hirte, Fels...), weil Gott mit einem nicht zu fassen ist, so haben wir unterschiedliche Zeugen aus der Frühzeit christlichen Glaubens: Gott gibt sich im vielfältigen Zeugnis seiner Boten zu erkennen.
Zu bedenken ist noch folgender Gedanke: Jesus von Nazareth, ein einfacher Zimmermann, wirkte nur ca. 1-3 Jahre und wurde dann hingerichtet. Er wuchs als Jude in einer "römischen Provinz" am Rande des römischen Reiches auf. Das, was im Folgenden dargelegt werden wird, ist äußerst erstaunlich: Wie konnten Menschen das alles von einem anderen Menschen sagen? Warum haben sich an diesem einfachen, hingerichteten Menschen Geschichten und Legenden anranken können? Warum gingen seine Nachfolger für ihn in den Tod? Warum gingen sie nicht, wie so häufig in der Geschichte, resigniert wieder nach Hause und ihrer Arbeit nach, desillusioniert, weil sie einem Illusionskünstler gefolgt sind, der sie enttäuscht hat? Die beliebte Erklärung, dass die Menschen damals eben beschränkter waren als wir wissenschaftlich Gebildeten heute, ist hinfällig, weil das, wovon wir Zeugen sind, eben einmalig ist: Während es viele Messiasse usw. gab, von denen man nicht mehr spricht, ist Jesus in vieler Munde. Zudem: Jesus verkündete höchstens drei Jahre lang (und hat nichts aufgeschrieben), Buddha (Siddharta Gautama) verkündete 45 Jahre, Mohammed wirkte (auch militärisch) 22 Jahre lang. Um auch einen einflussreichen Philosophen zu nennen: Sokrates, wirkte wohl über 20 Jahre öffentlich - und hat auch nichts aufgeschrieben. Wie auch immer man das alles einschätzen mag, das, was aus der Botschaft dieses Menschen folgte - und dann noch in der 2000 jährigen Geschichte folgen wird - sucht seinesgleichen. Das gilt übrigens auch für die Gegnerschaft. Wie viele klugen Köpfe schreiben heute Bücher, um das, was Jesus sagte und was aus seiner Botschaft folgte, zu widerlegen. Sie führen auf ihre Weise die Verkündigung Jesu Christi weiter.
Texte
Logienquelle (Q; Spruchevangelium)
Die Logienquelle ist eine Sammlung von Logien (Worte/Aussprüche) Jesu in der Tradition prophetischer Aussprüche (siehe das AT). Sie liegt nicht mehr vor, sondern wurde aus den Evangelien des Matthäus und des Lukas extrahiert. Beider gemeinsames Material – außer des übernommenen Markusevangeliums – wird als Logienquelle bezeichnet. Vermutlich wurde diese auch schon redaktionell bearbeitet, das heißt, es liegt eine längere Tradierung – seit Jesu Wirken um 27 bis ca. 70 nach Christus – vor, vielleicht gab es damit auch unterschiedliche Fassungen der Logienquelle bzw. unterschiedliche Textkomplexe, die dann zusammengefügt wurden. In ihr liegen Bezüge zu Johannes dem Täufer vor, ebenso weist sie auf Wunder hin, wenn auch sehr sparsam, sie beinhaltet Gleichnisse und es kommen apokalyptische Elemente vor (Weltende) und Kreuzesnachfolge.
Die Theologie der Spruchquelle: Johannes der Täufer, mit dem das Reich Gottes anbricht, hat das Kommen Gottes verkündigt, das von den Q-Christen in Jesus erfahrbar wurde. Q greift messianische Erwartungen der Zeit auf: Jesus ist der im AT angekündigte Menschensohn, der aus Gottes „Weisheit“ heraus redet, Menschlichkeit einfordert und die durch Propheten verheißenen Machtaten wirkt. Er wird von Menschen missachtet und wird als Richter wiederkommen. Jesus lehrt aber das Feindesliebe-Gebot und gibt damit den missachteten frühen Christen einen Verhaltens-Maßstab an die Hand. Es wird deutlich, dass zumindest die Endredaktion eigene Vertreibungs-Erfahrungen in den Worten Jesu erkennt und aufgreift, wie auch apokalyptische (Endzeit-) Erfahrungen mit der Eroberung Israels durch die Römer als Ansatz des Gerichts über Israel interpretiert. Jesus selbst hat ein großes Selbstbewusstsein, das mit den Erfahrungen vieler Menschen nicht kompatibel ist: Wenn er der Messias ist, warum macht er nicht aus Steinen Brot? Das wird aus der Perspektive der Jesus-Nachfolger Lk 4,1-13* erklärt; zudem: Jesu Messianität ist nur erkennbar, wenn Gott es dem Menschen offenbart (Lk 10,21ff.*). (*Ich gebe die Texte der Logienquelle mit Hilfe der Version des Lukasevangeliums wieder.)
Es ist zu beachten, dass in der Antike das Auswendiglernen eine große Rolle spielte. Wie groß das Vermögen war, wird zum Beispiel in der Homer-Forschung intensiv untersucht. Auswendig lernen war wichtig in einer Zeit, in der Schreiben nicht zur Regel gehörte. Die Schüler Jesu - Jünger - so ist auszugehen, lernten die Worte Jesu automatisch auswendig, wie es von Ananda, dem Neffen Buddhas überliefert wurde. Es war damals üblich. Von daher ist auch davon auszugehen, dass viele Worte Jesu mündlich korrekt überliefert wurden. Reden war das eigentliche Kommunikationsmittel für den normalen Menschen - nicht wie heute: das Schreiben und Lesen (+ Fotos). Aufgeschrieben wurde im Alltag höchstens das Eine oder andere auf Wachstafeln oder Scherben. Nichts desto trotz gab es auch umfangreichere Niederschriften, wie Lukas bezeugt (1,1ff.; s. die Logienquelle und das unten zu nennende Sondergut.)
Markusevangelium
Das Markusevangelium wurde vermutlich um 70 n. Christus geschrieben, also im Kontext der gewaltsamen Eroberung Israels – dann auch Jerusalems – durch die Römer (vermutlich hat Markus jedoch schon einige Zeit vorher, als es noch verhältnismäßig friedlich war und man ungehindert reisen konnte, Informationen vor Ort zu sammeln begonnen, also vor dem Jahr 66). Das Kapitel 13 greift die apokalyptischen Erwartungen, die Endzeiterwartungen, auf und versucht sie zu interpretieren. Dazu gehört auch die Aufnahme der Wundertaten Jesu. Markus zeigt: Jesus erweist seine Gottes-Sohnschaft im Tun der Wunder. Aber: Er soll nicht an den Wundern erkannt werden, sondern an seinem Leiden, seinem Sterben für die Menschen am Kreuz. Entsprechend ist auch der Ruf Jesu am Kreuz: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, nicht nur ein Echo des Psalms 22, sondern gibt auch den Schrei vieler Menschen in dieser Kriegszeit wieder. Aber auch die Weigerung in Gethsemane, das Leiden auf sich zu nehmen, greift vieler Menschen Gefühle auf. Diese werden dann in dem Wort Jesu zusammengefasst: Abba, mein Vater, alles ist dir möglich; nimm diesen Kelch von mir; doch nicht, was ich will, sondern was du willst (14,36).
Aber Jesus ist nicht nur der Wundertäter, er ist auch der Lehrer. Er lehrte in Galiläa und hatte vor seiner Hinrichtung harte Auseinandersetzungen auf dem Weg nach Jerusalem und dann am Tempel. Auslöser dieser harten Auseinandersetzungen finden wir schon in Galiläa. Dort ging es um das Reinheitsgebot. Den äußeren Waschungen stellte Jesus etwas anderes entgegen: Die Reinheit des Herzens (Kapitel 7). Er geriet in Gefahr und wich in die eher heidnischen Gebiete aus, kehrte dann jedoch um, um nach Jerusalem, ins Zentrum der Macht, zu gehen. Auslöser für die Umkehr war das so genannte Petrusbekenntnis, das ausspricht, dass Jesus der Messias sei. Ab diesem Zeitpunkt weist Markus immer wieder darauf hin, dass Jesus leiden und sterben müsse, aber auferstehen werde. Hinweise darauf, dass sich seine Gegner, religiöse und staatliche Führer, zusammentun würden, um Jesus zu bekämpfen, gab es allerdings schon vorher (Kapitel 3 und 8 aber auch 6). Ab diesem Zeitpunkt (Kapitel 7) wird immer intensiver durch die wiederholten Ankündigungen seines Leidens und Sterbens (8,31; 9,31; 10,32ff.) – bis hin zum Gleichnis von den Weinbergpächtern (Kapitel 12) - auf Jesu Sterben hingewiesen. Immer wieder wird auch gezeigt, dass die Jünger, die Jesus erwählte, das nicht zusammenbringen: Ihre messianischen Machtphantasien mit dem Leiden und Sterben Jesu. Im Grunde sind sie unfähig, Jesus angemessen nachzufolgen, weil sie nicht richtig beten. Nicht nur das Leiden wird jedoch vorweg genommen, auch der Hinweis auf die Auferstehung in den Leidens-Ankündigungen und im Bericht über die Verklärung Jesu (Kapitel 9).
Der Tenor der Lehre Jesu laut Markusevangelium: Umkehr. Menschen sollen sich wieder Gott zuwenden, denn das Reich Gottes ist herbeigekommen. Zeichen für das Herbeikommen des Gottesreiches ist der Sieg über die Krankheiten und Dämonen und die vollmächtige Lehre. Die vollmächtige Lehre zeigt wie die Taten auf, dass es um Menschlichkeit geht. Um der Menschlichkeit Willen müssen verknöcherte Strukturen aufgebrochen werden (neuer Wein in neue Schläuche gefüllt werden): Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht umgekehrt, Sündenvergebung hier und jetzt, nicht erst durch Opfer am Tempel, Vergebung in die alle einbezogen werden, auch die Gemiedenen (Zöllner, Prostituierte); Frauen und Kinder sind anders zu behandeln als üblich; ebenso wird die Grenze zu den Heiden durchlässig und die Gier nach Reichtum wird abgelehnt. Nicht herrschen, sondern dienen ist die Devise, das zeigt sich dann auch darin, dass man nicht versucht, die Besatzungsmacht zu beherrschen, sondern sie angemessen in die Schranken zu weisen: ihr gehören die Steuern – aber nicht die Menschen, die gehören Gott. Kurz: Das Gesetz ist darin zusammengefasst, dass Gott und Mensch geliebt werden. All das bedeutet: Gottes Willen tun – und diejenigen, die das auch so sehen, bilden eine Familie.
Der Messias Gottes, der Sohn Gottes, der Menschlichkeit verbreitete, musste sterben. Warum? Mit seinem Leben weist er Menschen an, wie sie sich nach Gottes Willen verhalten, mit seinem Sterben schließt Gott einen Bund mit den Menschen zur Sündenvergebung und damit zum ewigen Leben.
Das gesamte Evangelium ist geprägt von Jüngerkritik: Sie verstehen den Leidensweg Jesu nicht, verstehen nicht, dass sie dienen sollen, statt herrschen. Judas verrät, Petrus verleugnet. Sie sind wie die christlichen Zeitgenossen in dem römisch-jüdischen Krieg. Von hier aus möchte ich auch den Schluss des Markusevangeliums verstehen. Die Frauen sehen das leere Grab, sehen und hören den Engel, aber sie sagen nichts von der wunderbaren Auferstehung weiter, verschweigen den ihnen gegebenen Auftrag. So absurd wie die Frauen und die Jünger verhalten sich die Christen, denen das Evangelium gilt. Wenn sie Gottes Handeln in Jesus erkennen, es gesehen und erfahren haben, aber dennoch schweigen, verhalten sie sich töricht. Das Gebet Jesu rehabilitiert Petrus. Von daher ist nicht alles verloren. (Sonderbar ist auch der Schluss der Apostelgeschichte, wenn sie erst nach 90 geschrieben worden sein sollte, weil sie nicht berichtet, wie das Gerichtsurteil gegen Paulus ausgegangen ist. Oder gedachte er eine Fortsetzung zu schreiben? - So auch Markus?)
Vergleich der Theologie des Markus und der Logienquelle
Wenn man die beiden Quellen: Markus und Logienquelle miteinander vergleicht, erkennt man, wie an den vorangegangenen Darlegungen gesehen, Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten.
Gemeinsamkeiten liegen zum Beispiel darin:
Sondergut
Sondergut Markus / Quellen des Markus
Wir finden in den jeweiligen Evangelien Texte, die in keinem der anderen zu finden sind. Das trifft auch auf das Markus-Evangelium zu. Das hieße, dass entweder Matthäus und Lukas es gleichzeitig ausgelassen hätten, kann aber auch bedeuten, dass diese Texte nicht in der Vorlage des Matthäus bzw. Lukas vorgelegen haben. Im Wesentlichen handelt es sich um eher „anstößige“ Texte (Episoden aus dem Leben: Mk 3,20f.; 14,51f.; Lehre: 2,27), Texte, die eher rätselhaft sind (Mk 9,48.49), heidnisches Couleur haben – darum von Matthäus evtl. verändert wurden (Wunder: 7,31ff.; 8,22ff.) bzw. zur Gelassenheit aufruft (Gleichnis: 4,26ff.). Diese Texte spiegeln insgesamt theologisch auch das wider, was in den übrigen Überlieferungen zu finden ist.
Es sei noch angemerkt, dass auch Markus möglicherweise schon auf gesammelte Textkomplexe zurückgreift: Wunder in Kapitel 2f., das Gleichnis-Kapitel (Kapitel 4), die Endzeitrede von 13 und die Passionsgeschichte.
Das Sondergut des Matthäus
Einen großen Teil des Sondergutes machen die Geburtsgeschichten aus, die aus der Perspektive des Josef dargelegt werden. Darüber hinaus geht es um Zurücknahme im öffentlichen religiösen Auftreten (nicht schwören, zu Hause beten und fasten, verborgen Almosen geben), zahlreiche Gleichnisse, in denen es darum geht, angesichts des kommenden Gerichts wachsam zu sein, einander zu vergeben, da Gott das Gericht ausübt, nicht der Mensch. Dabei handelt Gott sehr überraschend (Mt 7,21ff.; 25,31ff.). Zudem geht es um Verhaltensweisen in der Gemeinde gegenüber schwierigen Menschen. Am Schluss des Evangeliums wird der Missionsbefehl eingeordnet. Die Passionsgeschichte hat gegenüber der markinischen Version zum Teil eigene Schwerpunkte.
Das theologische Gewicht wird erkennbar: Es geht um dem Reich Gottes angemessene Verhaltensweisen und deren Durchsetzung mit Blick auf Gottes Gericht. Weitgehend deckt es sich mit dem Roten Faden, den Matthäus auch seinem gesamten Evangelium durchziehen lässt. Allerdings beinhaltet das Sondergut keine Heilungswunder und Exorzismen (aber zwei Naturwunder, die entsprechend gleichnishaft auszulegen sind: 17,24ff. und 14,28ff.). Im Wesentlichen geht es (abgesehen von Geburtsgeschichten und Passion) also um Aussprüche Jesu und Gleichnisse. Ob es sich um einzelne umlaufende Texte handelte, die Matthäus selbst gesammelt hat, ist nicht sicher, weil sie vielfach einen ähnlichen Duktus haben.
Sondergut des Lukas
In eine ganz andere Welt treten wir beim Sondergut des Lukas ein. Auch hier sind zunächst die Geburtsgeschichten zu nennen, die allerdings aus der Perspektive der Maria dargelegt werden, verwoben werden sie mit der Geburt von Johannes dem Täufer. Die Gleichnisse haben nicht das Gericht als Thema, sondern die Annahme der Sünder, der verlorenen Menschen. Neu im Vergleich zu dem bisher genannten ist, dass die Samaritaner positiv in den Blick kommen. Die Passionsgeschichte hat, wie im Matthäusevangelium auch eigene Schwerpunkte. Das Sondergut beinhaltet wie das matthäische Sondergut viele Gleichnisse
Fazit:
Es ist erkennbar, dass die unterschiedlichsten christlichen Traditionen gleichermaßen die gleichen Gattungen aufweisen (z.B. Gleichnisse, Wunder, Aussprüche Jesu). Die einzelnen Überlieferungen legen eigene thematische Schwerpunkte. Sie haben aber alle auch Gemeinsamkeiten: das Verhalten des Christen wird durch Jesus in einer neuen Weise geprägt: Gott wendet sich den Außenseitern, den Verlorenen zu. Jesus wird mit Hilfe alttestamentlicher Prophezeiungen als Messias/Sohn Gottes zur Sprache gebracht. Seine Lehre und sein Handeln drehen sich um das Thema: Reich Gottes. Inhaltlich haben Geburtsgeschichten und Passionsgeschichten kaum Überschneidungen. Dennoch geht es beiden um Gottes Handeln zur Erlösung des Menschen: einmal in der Menschwerdung, dann im Leiden Jesu und der Auferweckung. In beiden Themenbereichen wird jüdische Tradition und Exegese aufgegriffen.
Das bedeutet, dass Abstand genommen werden muss von der Ansicht, dass man im Grunde nichts von Jesus weiß. Deutlich ist zumindest, dass unterschiedlichste Traditionen gemeinsame Merkmale haben, damit eine gemeinsame Ursache erkennen lassen, die nicht in einem Autor verborgen liegen, sondern in Jesus von Nazareth. Darauf weisen auch die Unterschiede hin: die gemeinsame Grundlage wurde von Menschen jeweils auf ihre Art rezipiert.
Matthäusevangelium
Matthäus, der möglicherweise um 80 nach Christus sein Evangelium geschrieben hat, greift Markus, die Logienquelle und Sondergut auf. Er ist der jüdisch-christliche Schriftgelehrte unter den Evangelisten und begründet in der Intention der Exegese seiner Zeit Aussagen zum Leben und zur Lehre Jesu mit Hilfe alttestamentlicher Prophezeiungen. Er versucht Jesus mit Blick auf die Vita des Mose darzustellen. Dazu nimmt er die Flucht nach Ägypten auf, das Motiv der Rettung des Kindes (wie Mose), er zeigt Jesus als den Gesetzgeber der neuen Gerechtigkeit (Bergpredigt).
Sechs große Reden beherrschen sein Evangelium (vielfach wird von 5 Reden gesprochen, dann werden die beiden letzten Reden zu einer Doppelrede zusammengezogen): Bergpredigt: 5-7; Aussendungsrede: 10; Gleichnisrede: 13, Gemeindefragen: 18; Rede gegen Pharisäer: 23; Apokalyptische Rede, der ein paar Gleichnisse zum Thema Gericht angeschlossen werden: 24-25.
Matthäus geht es um die neue Gerechtigkeit, das heißt, Menschen, die Jesus nachfolgen, sind angehalten, sich durch ihr Verhalten, das dem Willen Gottes entspricht, positiv von der Umwelt abzusetzen. Das Verhalten ist Gemeinschaft orientiert (alles Trennende wird ausgeschlossen durch Vergebung, einander nicht beschimpfen/richten, verlässliches Verhalten). Das vertieft er mit Texten aus dem Sondergut. Dadurch wird die Thematik der Texte, die er aus dem Markusevangelium aufgreift, verlagert. Freilich leidet Jesus, wird angegriffen, aber der Schwerpunkt liegt nun auf die Verhaltensanweisungen: Christen verhalten sich einmal gegenüber anderen Menschen als auch gegenüber ihrer Gemeinschaft neu – sie nehmen dafür auch Verfolgung in Kauf. Wenn Christen sich an das halten, was Jesus sagt und vorlebt, sind sie das neue Israel (vgl. 8,11ff.; Mt 21,43; vgl. die Änderungen auch im Vergleich zur Lukas-Parallele in Mt 22,1ff.) - Jesus Christus ist in ihren kleinen Versammlungen in ihrer Mitte und bei ihnen in ihrem Tun. Voraussetzung ist: Sie leben gemäß der neuen Gerechtigkeit – sie werden von der Gemeinschaft durch das Gottesgericht ausgeschlossen werden (bzw. haben sich selbst ausgeschlossen), wenn sie sich nicht angemessen verhalten. Die Aussagen, die er aus der Logienquelle aufgreift, werden eher durch weiteres Material vertieft. So wird zum Beispiel das Selbstbewusstsein/Gottesbewusstsein Jesu gesteigert, wenn es in den Antithesen der Bergpredigt heißt: Es wurde euch gesagt (unter anderem in alttestamentlichen Überlieferungen) - ich aber sage euch...
Wir finden im Matthäusevangelium also ein weiteres Stadium des Ablöseprozesses von der Synagoge bzw. den Pharisäern vor, als es im Markusevangelium oder stärker noch in der Logienquelle der Fall war. Einmal: Der Tempel und die Strukturen jüdischen Glaubens waren durch den Krieg zerstört und zudem: Die Umkehr der Juden, das heißt eine Erneuerung des jüdischen Glaubens im Sinne Jesu, fand dennoch nicht statt. Somit konzentriert sich Matthäus auf die eigene neue Gemeinschaft. Allerdings finden wir auch im Markusevangelium einen entsprechenden Ansatz gegen das Volk, aber auch hier: Das Gebet für das Volk und Vergebung vermag Berge versetzen (Markus 11).
Lukasevangelium
Lukas ist vermutlich ein Autor, der aus dem Bereich von Ephesus/Philippi kommt und sein Evangelium um ca. 80-90 nach Christus geschrieben hat - in der Zeit Domitians. Er geht in Caesarea an Land und bereist an der Grenze zu Samaria Judäa und sammelt Informationen zu Jesus. Sein Evangelium beginnt er mit einem Statement, das einem antiken Historiker gut zu Gesicht steht: Er beruft sich auf Zeugen. Geschichte ist auch sein Steckenpferd: Jesus Christus ist – somit auch das lukanische Evangelium - „die Mitte der Zeit“. Das jüdische Volk wurde von Gott erwählt und lief auf diese Zeit zu, von daher bieten alttestamentliche Schriften den Deutungsrahmen, aus dem Jesu Leben heraus zu interpretieren ist – und nach Jesus begann die Zeit der Kirche, die überall dabei ist, Fuß zu fassen: über Israel hinaus ist sie bis nach Rom und Syrien und Nordafrika gekommen, wie Lukas in der Apostelgeschichte beschreibt. Von dieser Mitte aus verbreitet sich aufgrund des Geistes Jesu als treibende Kraft die Freude überall. Kleine Menschen, verachtete – in der Formulierung des Lukas: verlorene - Menschen nehmen wahr, dass sie ein neues Leben führen können. Sie sind nicht mehr verloren, sondern Teil der neuen Gemeinschaft, weil Gott sie sucht und zurückgeholt hat.
Massiv wendet er sich mit Sonderguttexten gegen Reichtum, zeigt aber gleichzeitig an der Zachäus-Geschichte (Lk 19) auf, dass auch reiche Menschen eine Chance haben.
Entsprechend finden wir in seinen Geburtsgeschichten viele Lieder und auch sonst in seinem Evangelium viele Texte, in denen Freude herrscht.
Die Freude herrscht nicht mehr so sehr angesichts des kommenden Reiches Gottes, sondern aufgrund des Wirkens des Geistes, der auch Jesus ergriffen hat (4,1.18). Das heißt, die Naherwartung ist noch vorhanden, aber nicht mehr in dem Maße wie bei den vorangegangenen Evangelisten und Traditionen. Dominanter ist, dass man angesichts der neuen Zeit, die mit Jesus angebrochen ist, sein Leben nicht im Vertrauen auf Reichtum lebt.
Freude herrscht auch darüber, dass der Satan aus dem Himmel gestürzt wurde, aus seinem Machtbereich (Lk 10,18), denn Jesus hatte von seiner Vollmacht den Jüngern abgegeben. Im Abschluss an dieser Freude werden drei Sonderguttexte angeschlossen. Sie zeigen den aktiven barmherzigen Samariter, zeigen die hörende Aufmerksamkeit einer Frau (Maria aus Bethanien) und eine Gebetslehre. Das heißt: helfen ist wichtig – zuhören aber auch – und beten ebenso. Aber der Satan ist noch am Wirken: Menschen, die Leiden, sind nicht schuldiger als andere auch, aber es ist der Satan, der die Menschen knechtet, auch mit Krankheiten, so lehrt er Lk 13 mit Sonderguttexten. Entsprechend befreit Jesus Menschen vom Leiden. Und der Satan ist es auch, der Petrus schütteln wird, aber Petrus wird letztlich wieder zurückfinden zu Jesus, weil Jesus für ihn gebetet hat. Das Wirken der Christen ist im Grunde ein Wirken gegen den Satan, das mit Hilfe des Geistes Gottes und des Gebetes.
Am Ende seines Lebens wird Jesus auch von dem Herrscher Herodes verspottet, der Jesus aufgrund seiner Sensationslust schon lange sehen wollte. Jesus tat ihm den Gefallen nicht. Lukas entlastet Pilatus. Es wird vermutet, weil Lukas der christlichen Gemeinde, die in Rom Fuß zu fassen suchte, keine Steine vor die Füße werfen wollte. Allerdings wird 13,1ff. Pilatus als grausamer Mensch geschildert und in 24,26 wird dargelegt, dass das Leiden und Sterben Jesu so geschehen musste, weil es entsprechend in der Schrift angekündigt worden war und so die Herrlichkeit erlangt werden konnte. In der Emmausgeschichte wird also das Jesus-Ereignis aufgegriffen und in den Deutungsrahmen alttestamentlicher Schriften gestellt. Ich denke, dass diese Deutung wesentlich ist, nicht, dass im Grunde alles vorherbestimmt war. Die Schrift lehrt rückblickend Ereignisse zu deuten, damit Menschen angesichts schlimmer Situationen nicht verzweifeln.
Jesus selbst stirbt vorbildhaft, indem er nicht ruft: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?, wie bei Markus. Sondern vergebend und getrost seinen Geist in Gottes Hand legt. Vermutlich darum, weil es so üblich war, dass Menschen so sterben mussten, wie es ihrem Leben entsprach. Für Jesus ist Gottvertrauen kennzeichnend. Dieses vorbildhafte Sterben wird dann von Stephanus (Apg 7,59) aufgegriffen, der seinen Geist in Jesu Christi Hand legt. Er ist ein Vorbild für die Christen. Theologisch ist diese Beziehung "Gott-Christus" wichtig. Zu den letzten Worten am Kreuz sei freilich angemerkt, dass auch Markus in den letzten Worten Jesu seine Zeit widerspiegeln lassen könnte. Von daher ist nicht eindeutig zu sagen, was aus historischer Sicht wirklich die letzten Worte Jesu waren.
Damit könnte sich Lukas jedoch wieder als Historiker erweisen. Als solcher blickt er auch zurück auf die Eroberung Jerusalems und weist auch darauf hin, dass Einwohner als Sklaven verkauft wurden (21,24; aus anderen Quellen wissen wir, dass der Sklavenmarkt aufgrund der vielen neuen Sklaven zusammengebrochen ist). Auch sonst flicht er immer wieder einmal Hinweise auf die Profangeschichte, wie gesehen, ein. Entsprechend bezieht er auch die Heiden mit in den Stammbaum Jesu ein, lässt ihn mit Adam beginnen und nicht mit Abraham, wie Matthäus. Der Übergang des Evangeliums, der "Mitte der Zeit" in die Heidenwelt beschreibt dann die Apostelgeschichte.
Paulus
Paulus, der vor seiner Christwerdung Saul hieß, ist zeitlich vor den Evangelisten einzuordnen. Er verfolgte Christen vermutlich darum, weil sie aus seiner Sicht das Judentum schwächten. Als er Christen in Damaskus inhaftieren wollte, hatte er ca. zwei bis fünf Jahre nach Jesu Hinrichtung eine Audition und eine damit verbundenen Lichterscheinung. In der Audition hörte er den auferstandenen Jesus Christus sagen: Saul, Saul, warum verfolgst du mich? Und Saul fragte: Wer bist du, Herr? Und er antwortete: Ich bin Jesus, den du verfolgst – überliefert es Lukas in der Apostelgeschichte (9,4f.). Paulus selbst schreibt nur: Er, also Jesus, ist von mir gesehen worden (1Kor 15, 8). Im Galater-Brief schreibt er, dass Gott seinen Sohn (in) Paulus offenbart habe (1,16). Das ist wichtig, weil dieses Ereignis seine Theologie bestimmt: Der Apostel legt auf den irdischen Jesus weniger Gewicht als auf den auferstandenen Jesus Christus. Zumindest lassen das die Briefe erkennen. Was er den gemeinden im Rahmen missionarischer Erstinformationen gegeben hat, wissen wir nicht. Im ersten Thessalonicherbrief weist er darauf hin, dass er der Gemeinde Regeln (im Auftrag) Jesu gegeben habe. Eine der Regeln lesen wir im Römerbrief, es geht um Feindesliebe, zwei finden wir im1. Korintherbrief, es geht um Ehe und Lohn. Ein Wort Jesu wird im 1. Thessalonicherbrief aufgegriffen, es geht um das Wiederkommen Jesu.
Nichts desto trotz haben wir durch ihn zahlreiche Informationen über Jesus, die er einmal vermutlich durch von ihm verfolgte Christen bekommen hatte, zudem kannte er manche der 12 Jünger. Neben einzelnen Informationen über Jesus, die wir aus seinen Briefen bekommen (z.B. Bruder Jesu: Jakobus, Aufnahme zahlreicher frühchristlicher Traditionen: Einsetzungsworte, Nachkommenschaft Davids), weiß er, dass Jesus ein ganz bestimmtes Verhalten zeigte: Er hat sich erniedrigt, er hat andere Menschen angenommen, er ist auf sie zugegangen. Entsprechend sollen sich auch Christen ihren Mitmenschen gegenüber verhalten. Jesus Christus förderte und forderte Gemeinschaft auch durch Vergebung, entsprechend vergeben Christen.
Es sieht so aus, als gab es Christen, die die Macht, auch die Wundermacht Jesu hervorgehoben haben. Paulus reagiert damit, dass er selbst Wunder getan habe, aber ihm ist nicht der mächtige Jesus Christus wichtig, ihm ist der gekreuzigte Jesus Christus wichtig. Das darum, weil der gekreuzigte Jesus Christus Ausgangspunkt für die Vergebung der Sünden ist (Rechtfertigung).
Das bedeutet: Nicht das, was Jesus als Mensch getan hat, ist für Paulus wichtig; wichtig ist das, was Jesus jetzt als Auferstandener durch seinen Geist wirkt bzw. welche Konsequenzen Jesu Handeln – vor allem der Kreuzestod – für die Menschen von heute hat. Paulus wendet den Blick von der Vergangenheit auf das Wirken Jesu Christi in der Gegenwart.
Unabdingbar damit verknüpft ist, dass Gottes Gnade und Liebe in Jesus Christus sichtbar wird. Er ist das Ebenbild Gottes. Er ist das positive Gegenbild zu Adam: Adam hat die Menschen durch die Sünde ins Verderben und in den Tod geführt (anders gesagt: im ersten Menschen sind alle Menschen zu sehen, alle sündigen, alle sterben) – Jesus Christus hat die Menschen von der Sünde zu einem neuen Leben und vom Tod befreit. Das wird in der Taufe sichtbar. In der Taufe wird der Glaubende aus dem Wirkungsbereich des Todes in den Wirkungsbereich des lebendigen Jesus Christus hinein getauft (Paulus-Mystik). Vom Tod befreit sein bedeutet nicht, dass Christen nicht mehr sterben, sondern dass die Macht des Todes gebrochen ist. Glaubende leben durch Glauben und Taufe als irdische Menschen in Jesus Christus - und sie leben dann auch nach dem Sterben in dem auferstandenen Jesus Christus.
Das zu verkündigen, hat Gott den Apostel beauftragt. Und so zieht er durch große Teile des damaligen römischen Reiches, bildet Gemeinden und hat zahlreiche Schüler. Dadurch, dass er häufig im Gefängnis und auf Reisen war, musste er die neu gebildeten Gemeinden allein lassen. Um sie im Glauben zu unterstützen, schrieb er Briefe und schickte seine Schüler mit dem jeweiligen Brief in die betroffene Gemeinde.
Der älteste erhaltene Brief des Apostels ist der 1. Thessalonicher-Brief. Dieser wurde um das Jahr 50 herum geschrieben, also ca. 20 Jahre nach Jesu Tod. In diesem Brief spricht Paulus das Leiden der Gemeinde an. Sie zweifelte an der Verkündigung, dass Jesus Christus bald kommen werde. Paulus sagt: Nicht das Kommen Jesu ist Beweis für euren Glauben, sondern: Dass ihr glaubt, beweist, dass Jesus Christus auferstanden ist. Somit wird langsam die traditionelle Eschatologie (Lehre, dass Gott bald kommen wird, um seine Herrschaft aufzurichten), langsam durch die Betonung des auferstandenen Jesus Christus verdrängt. Denn durch den auferstandenen Jesus Christus wirkt Gott schon jetzt zum Wohl der Menschen. Nicht erst in der Zukunft.
Um das Jahr 55 ist vermutlich der 1. Korinther-Brief entstanden: Christen haben eine ganz neue Einstellung. Es geht nicht um Macht und Stärke, es geht darum, dem gekreuzigten Jesus Christus zu folgen, der mächtig in der Gemeinde wirksam wird. Gott hat nicht Reiche und Herrscher erwählt, sondern Menschen, die nichts zu sagen haben. In diesem wird Gott wirksam. Dieses mächtige Wirksamwerden erkennt die Gemeinde daran, dass sie sich so verhält, wie es Gottes Willen entspricht. An dieser Stelle spielt dann das berühmte Hohe Lied der Liebe (1. Korinther 13) eine große Rolle. Die Gemeinde, die ein Körper/Leib ist, und zwar der Leib Christi, verhält sich auch als Einheit, auch wenn der Geist Gottes den jeweiligen Christen unterschiedliche Gaben gegeben hat. Die Menschen, die zum Leib Jesu Christi gehören, verhalten sich so wie Jesus Christus. Die Hand hat andere Aufgaben als der Fuß – aber sie gehören zu einem Leib. Dieses neue Verhalten durchzieht die Briefe das Paulus wie ein roter Faden. Es wird auch am Beispiel des Verhaltens Jesu im Philipper-Brief dargelegt (Kapitel 2), deutlich ebenso im Brief an Philemon, in dem es darum geht, den Sklaven wie einen Bruder aufzunehmen.
Glauben ist nichts Abstraktes. Glauben bedeutet nicht Glauben an ein höchstes Wesen, Glauben bedeutet zu erkennen, dass Gott mich in Jesus Christus hinein genommen hat. Und Jesus Christus wirkt durch mich. Von daher hat Glauben positive Auswirkungen auf die Menschen des weiteren Umfeldes und auf die Gemeinde. In dem Gott gemäßen Verhalten wird Gott verkündigt, wird Jesus Christus und Gottes Geist erkennbar. Gott hat sich mit dem Verhalten des Menschen untrennbar verknüpft. Es ist Teil der Verkündigung des Evangeliums. Der Glaube ist somit nicht etwas Starres, sondern er ist lebendig, kann wachsen. Er kann aber auch, wenn man aus Jesus Christus heraus geht, wieder verschwinden (was für Paulus allerdings eine unmögliche Möglichkeit ist: Wer die Liebe Gottes in Jesus Christus wirklich erfahren hat, der bleibt. Wenn jemand Jesus Christus verlässt, erkennt man, dass er nie in Jesus Christus gewesen ist, sondern nur so getan hat, als ob er Christ ist).
Der letzte Brief, den Paulus vermutlich 56 nach Christus an die Gemeinde in Rom geschrieben hat, ist eine Art Bewerbungsschreiben. Paulus möchte die Gemeinde in Rom besuchen und stellt seine Theologie vor. Das darum, weil er viele Gegner unter den Christen hatte und er nicht so recht weiß, was die Gemeinde in Rom überhaupt von ihm weiß. Aufgrund von Fake News könnte sie eine ganz falsche Sicht über ihn haben. Es geht um die Themen Sünde und Gesetz – und die Befreiung durch Christus, sowohl von der Sünde, als auch vom eng gefassten jüdischen Gesetz, das in der Liebe seine Erfüllung findet. Er legt dar, wie er das Verhältnis des Handelns Gottes, das ja in aller Welt, auch unter Heiden verkündigt wird, mit Blick auf Juden sieht: Der Stamm (die Basis) der Christen ist die Erwählung Israels durch Gott. In diesen Stamm werden neue Zweige (die Heiden) durch die Zugehörigkeit zum Juden Jesus Christus eingefügt (er verwendet das Bild aus der Landwirtschaft: Ein Spross wird auf eine neue Grundlage aufgesetzt, damit er neue Früchte bringt). In den Christen aus den heidnischen Völkern, so hat Paulus nach seiner Audition erkannt, weitet Gott in seiner Gnade die Erwählung über und durch erwählte Juden (unter anderem durch die Apostel) auf die Menschheit aus.
Paulus hatte sein Berufungserlebnis – das ist Spekulation – möglicherweise mit 25 Jahren. Das heißt er ist ungefähr um 10 nach Christus in Tarsus geboren worden. Er lebte also außerhalb Israels, sodass er Jesus vermutlich nicht gekannt hat. Laut Apostelgeschichte war er spätestens bei der Steinigung des Stephanus anwesend. Eine Datierung wird meistens 36-40 angegeben, was aber wohl früher (32 n. Chr.) stattgefunden haben dürfte. Etwas sicherer sind wir mit Blick auf den Zeitpunkt des Todes des Paulus: um 62 soll er, so die Überlieferung, unter der Herrschaft Neros in Rom hingerichtet worden sein. Sein Wirken hatte äußerst wichtige Folgen für die Christenheit, so dass manche meinen, Paulus sei für das Christentum wichtiger gewesen als Jesus selbst. Aber: Ohne Jesus Christus hätte es keinen Paulus – und eben keine Christenheit – gegeben.
Vergleich: Paulus und Evangelien
An dieser Stelle wird der Fokus nur auf wenige Aspekte gelegt.
Die Evangelien sprechen Gottes Wirken in dem Menschen Jesus an, weisen aber durch die Berichte von der Auferstehung über dieses irdische Wirken hinaus. Ebenso weisen sie durch die Gabe des Geistes Gottes durch Jesus darauf hin, dass „die Sache Jesu“ weiter geht. Sie ist mit Jesus nicht gestorben, sie ist mit seiner Himmelfahrt (das heißt In-Macht-Setzung – oder wie man früher sagte: Inthronisation) nicht in die Ferne gerückt, sondern gegenwärtig. Und das, was die Evangelien nur andeuten, das konkretisiert Paulus. Wie oben geschrieben:
Nicht das, was Jesus als Mensch getan hat, ist für Paulus wichtig; wichtig ist das, was Jesus jetzt als Auferstandener durch seinen Geist wirkt bzw. welche Konsequenzen Jesu Handeln – vor allem der Kreuzestod – für die Menschen von heute hat. Paulus wendet den Blick von der Vergangenheit auf das Wirken Jesu Christi in der Gegenwart.
Dazu gehört auch das, was oben unter dem Stichwort "Paulus-Mystik gesagt wurde. Glaubende sind in dem jetzt wirkenden Jesus Christus existent. Nicht nur: Jesus ist, wie wir im Matthäus-Evangelium hören, anwesend, wenn Glaubende gemeinsam beten, oder Anwesend bei den Glaubenden (s. Missionsbefehl: Ich bin bei euch alle Tage), sondern ihr gesamtes Wirken ist ein Handeln, das nicht losgelöst von Jesus Christus zu denken ist.
Diese Intention der engen Einheit der Glaubenden mit Jesus Christus wird in den Briefen, die vermutlich von Paulus-Schülern geschrieben wurden, weiter vertieft: Kolosser-Brief und Epheser-Brief. Das sei an dieser Stelle nur angedeutet.
(Zu Paulus siehe mein Buch: Paulus lesen und verstehen. Ein Leitfaden zur Biographie und Theologie des Apostels, Kohlhammer Verlag 2003. Ich weise nur auf das Buch hin, weil manche oben genannten Ausführungen in dem genannten Buch begründet werden.)
Johannesevangelium
Wann das Johannesevangelium entstanden ist, ist umstritten. Es gibt die Frühdatierung (kurz vor 70) und die Spätdatierung (110 n. Chr.) – und dazwischen die Sichtweisen, die unterschiedliche Überarbeitungsstufen annehmen. Entsprechend ist der Verfasser umstritten: Er kann mit dem Jünger Jesu verbunden werden - oder wird ganz allgemein einer späteren Gemeinde besonderer Prägung zugewiesen.
Alle Evangelien berichten von Jesus aus der Erfahrung der Auferstehung und der daraus folgenden Verkündigung von Jesus Christus. Ohne die Auferstehung ist Jesus kaum mehr zu verstehen. „Erinnerung“ ist in den letzten Jahren intensiver erforscht worden. Was passiert eigentlich, wenn wir uns erinnern? Erinnerung ist nie neutral. Das Gehirn kombiniert Erfahrungen und ordnet sie individuell ein. So erinnern sich die frühen Christen durch den Filter der Auferstehungserfahrung an den Menschen Jesus und den damit durch die Verkündigung erarbeiteten Deutungsmustern. Die Erfahrung des Auferstandenen prägt das Johannesevangelium stärker als die anderen Evangelien, weil das Johannesevangelium weniger eigene Worte Jesu oder Worte aus der Frühzeit der Jesus-Begegnung zitiert, sondern diese Traditionen und Erfahrungen aus einer dezidiert intensiven Auferstehungserfahrung verarbeitet. Es handelt sich um eine Christologie unmittelbarer Betroffenheit. Um das Geschehen zu deuten, verwendet das Evangelium Begriffe aus der Philosophie und aus der jüdischen Tradition.
Das sieht man schon allein an dem einleitenden Text: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort“ Damit wird die Schöpfungsgeschichte aus Genesis 1 aufgegriffen, um Jesus verstehen zu können. Genesis 1 heißt es: Am Anfang schuf Gott… und er sprach… Dieses „Sprechen“ – also „das Wort“ wird mit Jesus Christus zusammengeführt. Das Wort/Logos ist ein Begriff aus der griechisch-stoischen Philosophie, mit dem das göttliche Walten ausgesprochen wird: Der Logos durchzieht die gesamte Welt, um ihre Ordnungen zu erhalten. Kurz: Jesus ist der Logos, er ist Gott, er ist derjenige, der die Welt erschaffen hat und sie auch durchwaltend weiterhin in Ordnung hält. Dieser Logos/Wort wurde in Jesus Christus Mensch. Im Gegensatz zum philosophischen Logos wurde der christliche Logos personalisiert: Jesus ist der Logos, keine unbestimmte Macht. Er ist der Logos, der aufgrund der Liebe Gottes in die Welt gekommen ist. Diejenigen, die an ihn glauben, sind in dieses göttliche Ereignis hineingenommen (sind Kinder, nicht nach dem Willen eines Mannes, sondern nach dem Willen Gottes – womit die Jungfrauengeburt auf alle Glaubenden ausgedehnt wird). Der Logos kommt vom Vater auf die Erde, wird Mensch – dieser Faden wird am Ende des Evangeliums wieder aufgegriffen: Der Mensch geht, nach dem er sein Werk „vollbracht“ hat (am Kreuz sagt Jesus: Es ist vollbracht) wieder hinauf zum Vater. Bevor er zum Vater hinauf gegangen ist, ist der Logos/Jesus in einer Art Zwischenzustand. Darum kann er nicht mehr auf den ersten Blick als Mensch erkannt werden, sondern erst auf den zweiten Blick ist er der Mensch, der den Jüngern immer nahe war (z.B. 20,17).
Diese Besonderheit durchzieht das gesamte Johannesevangelium – was auch darin sichtbar wird, dass die einzelnen Textabschnitte sprachlich besonders raffiniert aufgebaut sind. Manchmal denkt man beim Lesen: das passt doch logisch überhaupt nicht zum vorangegangenen Text – bis man merkt, dass er so aufgebaut ist, wie man es von Gedichten her kennt, zum Beispiel in der Struktur a-b-c-d-e-d-c-b-a (12,27f.). Warum macht der Evangelist das? Um zu verdeutlichen: Wer das versteht, wer sich in das Wort hinein gearbeitet hat, der ist aus Gott geboren, womit die Liebe Gottes konnotiert ist. Wer diese Liebe nicht versteht, hat Jesus Christus, den Logos nicht begriffen (8,43).
Diese Sicht wird auch durch einen Dualismus unterstrichen: Licht – Finsternis; Gott – Welt, oben – unten usw., einem Dualismus, der auch in den jüdischen Qumran-Texten auf ihrer Art (nicht heidnischer Dualismus der Materie, sondern ethischer Dualismus) formuliert worden ist: Gott-Satan, rein-unrein, Geist-Fleisch… Wer versteht, gehört auf die positive Seite, wer nicht versteht gehört zur negativen Seite. Aber es geht nicht nur darum, die Menschen zu trennen, es geht darum, die Darstellung Jesu in immer neue Höhen hinaufzuformulieren – das auch durch auf den ersten Blick massive widersprüchliche Aussagen. Aber durch diese werden zum Beispiel Gott – Jesus Christus – Geist/Paraklet ganz eng miteinander verwoben. Wenn Gott den Geist sendet – oder an anderer Stelle Jesus den Geist sendet – oder an anderer Stelle Jesus der Geist ist – dann passt zwischen diesen kein Blatt mehr. Was der eine wirkt, wirkt auch der andere – das heißt: Sie wirken in Liebe zusammen. Von daher wird in diesem Evangelium der Mensch Jesus Christus eben als der Logos, der Gott ist, dargestellt (14,8-11). Und damit wird auch Jesus – gerade auch in seinen langen, Missverständnisse hervorrufende Reden – in einer gewissen Distanz gezeigt.
Es wird an diesen wenigen Beispielen deutlich, wie eng das Johannesevangelium Jesus und Gott – und den Geist Gottes/Jesu – zusammenfügt. Und diese enge Zusammenführung wird auch in den sieben Ich-bin-Worten ausgesprochen. Diese erklären aber noch etwas anderes: Die enge Einheit der Glaubenden mit Jesus Christus – damit mit Gott. Ich bin das Brot des Lebens – wer es isst, der hat Leben. Ich bin das Licht der Welt – wer diesem Licht folgt, hat Leben. Ich bin die Tür – wer diesen Eingang wahrnimmt, wird selig. Ich bin der gute Hirte, ich bin die Auferstehung und das Leben, ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, Ich bin der wahre Weinstock – wer mit diesem verbunden ist, hat das Leben. Glaubende sind nicht mehr von Jesus Christus zu trennen, er ist der Zugang, der zur Einheit mit Gott führt. Diese Einheit mit Gott wird dadurch signalisiert, dass mit den Ich-bin Worten vermutlich Exodus 3,14 aufgegriffen wird. Gott stellt sich dem Mose vor: Ich bin, der ich bin – in diesen johanneischen Ich-bin-Worten wird gedeutet, wer er ist, der sagte: Ich bin. Ich bin der Handelnde – in diesen Worten wird gedeutet, wie er handelt. Er führt zum Leben.
Jesus führt dadurch zum Leben, dass er das Lamm Gottes ist (2,29). Er trägt die Sünden der Welt, sein Leiden und Tod am Kreuz dienen der Verherrlichung Gottes, weil durch das Kreuz Gott selbst Menschen zu sich ins Leben holt (3,16). Es wird deutlich, dass das Negative des Todes Jesu, das in den anderen Evangelien und bei Paulus ins Positive geführt wird, noch intensiver stattfindet. Verherrlichung Gottes im schändlichen Kreuzestod – weil das Lamm Gottes dadurch zum Leben führt.
Zuletzt sei noch die scharfe Auseinandersetzung mit dem Judentum erwähnt. Israel war von den Römern überrannt worden. Der Tempel hat seine Funktion eingebüßt. Juden versuchten sich, wie zur Zeit des Babylonischen Exils hinter der Tora – dem Gesetz – zu sammeln. Johannes versucht die verwirrten aus dem Bereich der Tora herauszuführen und hinter Jesus Christus zu versammeln. In dem Sinn: Trauert nicht, dass Ihr Gott nicht mehr im Tempel anbeten könnt. Jesus Christus hat gelehrt, dass ihr Gott im Geist und Wahrheit, also unabhängig vom Tempel, anbeten könnt. Im Johannesevangelium finden wir ein Ringen um die Deutung der Zeit nach dem Zusammenbruch jüdischer Religiosität. Erst langsam haben sich Juden wieder in den Werken der Rabbinen finden können, aber die Jesus-Nachfolger wurden aus der Synagoge ausgeschlossen, weil sie als Konkurrenz-Religion angesehen worden sind und eben diesen Sammlungsprozess massiv gestört haben. Oder fand diese Auseinandersetzung schon vor der Eroberung durch die Römer statt? Denn im Krieg müssen alle auf Linie gebracht werden - wer nicht mitmacht, wird bedrängt und ausgeschlossen? ( So wurde Jakobus, der Bruder Jesu, vermutlich 62 oder 69 in Jerusalem getötet.)
Deutlich wird an alledem, dass die Reich-Gottes-Verkündigung Jesu, die in den anderen Evangelien so wichtig war, wie bei Paulus keine große Relevanz mehr besitzt. Aufgrund der Auferstehungserfahrung und der Gegenwart des Auferstandenen spielt die Zukunft keine dominante Rolle, die Gegenwart Jesu Christi ist so überwältigend, dass diese auch keine Rolle mehr spielen muss.
(Zu Johannes siehe mein Buch: Der Lieblingsjünger. Das Geheimnis um Johannes, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig 2007. Ich weise nur auf das Buch hin, weil da manches, das oben nur kurz angerissen wird, begründet wird.)
Zusammenfassung dieses kurzen Überblicks
Nun kann man natürlich angesichts dieser Schwerpunkte fragen: Wer war Jesus eigentlich als Mensch, was hat er gesagt, was hat er getan? Dieser Frage geht man mit Hilfe von Methoden nach (s. https://evangelische-religion.de/jesus-in-der-bibel.html {1.4}). In der Theologie geht es aber um einen anderen Aspekt: Als wer erweist sich der auferstandene Jesus Christus? Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Oder anders gefragt: Was sucht ihr den Irdischen, wenn doch schon längst auferstanden ist? Den irdischen Jesus suchen – zeigt, dass man den gestorbenen Jesus von Nazareth sucht, einen Menschen, der wie alle Menschen der Vergangenheit tot ist, deren Weisheiten vielleicht noch den einen oder anderen bewegen. Doch dem christlichen Glauben geht es um den auferstandenen Jesus Christus.
Aber dennoch: Der auferstandene Jesus Christus ist kein Wesen der Phantasie, er ist mit seinem Leben als Jesus von Nazareth kompatibel. Und so lösen sich auch die frühen Theologen nicht ganz vom irdischen Jesus, auch wenn sie die Schwerpunkte verlegen. Was haben sie gemeinsam?