www.evangelische-religion.de
Wunder Jesu
Die Wundertaten Jesu sind nicht zu lösen von dem Hauptthema seiner Botschaft: Die kommende Herrschaft Gottes, das Reich Gottes. Ausdruck dieser kommenden Herrschaft ist, dass Menschen schon in ihrem irdischen Dasein von Leiden befreit werden.
Von Wundertaten Jesu wird in den Evangelien berichtet. Es handelt sich überwiegend um Heilungswunder: Jesus heilt Menschen, erweckt sie von den Toten. Wesentlich an der christlichen Form der Wunderberichte ist, dass sie überwiegend mit theologischen Themen verbunden wurden: Heilung des Gelähmten + Sündenvergebung, Heilung des Blinden + Nachfolge, Heilung am Sabbat + Mensch hat auch am Sabbat Liebe zu zeigen usw. Neben den Heilungswundern wird von Exorzismen berichtet: Jesus befreit Menschen von Mächten, die den Menschen knechten, versklaven. Die theologische Bedeutung: Gott möchte den Menschen von dem befreien, was ihn bindet. Der Mensch ist gegen diese Mächte machtlos – Gott kann jedoch befreien. Exorzismen werden wissenschaftlich heute so eingeordnet, dass sie dazu dienten, soziale Probleme zu bewältigen. Ebenso gibt es Naturwunder. Auch sie werden überwiegend mit theologischen Fragen verbunden: Sturmstillung + Jesus beherrscht die Chaosmächte; Wasser zu Wein: Deutung des Todes Jesu usw.
Beurteilung in der Forschung
Es ist Konsens, dass Jesus Wunder gewirkt hat bzw. Taten vollbracht hat, die in den Augen seiner Zeitgenossen als Wunder interpretiert wurden. Der Mensch kann nur verstehen, wenn er gelernt hat zu verstehen. In Völkern, in denen wunderhafte Taten vorkommen, versteht man die Wunder Jesu leichter als wir mit unserem Weltbild, weil wir stärker in der philosophischen Tradition des „Rationalismus“ stehen. Um die Wunder auch gegenwärtig in Mitteleuropa und Nordamerika zu verstehen, gibt es die psychologische Wunderauslegung: Vertrauen in Gottes Wunderkraft ist eine Art Selbstvertrauen usw. Grundlegend ist jedoch: Der Mensch ist ein offenes Wesen – insofern ist auch die Frage nach den Wundern davon abhängig, wie der jeweilige Mensch Erlebnisse erschließt, interpretiert: Rechnet er mit Gottes Handeln, dann rechnet er mit Wundern – oder rechnet er nicht damit, dann kann er auch Wunder nicht als solche einordnen, interpretiert sie als Zufall, als Fehlinterpretation usw.
Die Naturwunder werden im Wesentlichen nachösterlich eingeordnet - sie haben damit auch nachösterliche Botschaften (z.B.: Speisung der 5000 weist auf das Abendmahl).
Offenes oder geschlossenes Weltbild?
Es liegt in der Natur der Sache, dass Wunder unterschiedlich interpretiert werden. Zudem werden sie heftig kritisiert - nach allen Regeln der jeweiligen Logik der Zeit. Welches Weltbild hat der Mensch, der mit den Wundern konfrontiert wird? Ein geschlossenes, das heißt eines, das die Frage der Kausalität sehr eng interpretiert (Gott kann und will nicht in die Welt, in die von ihm geschaffene Ordnung eingreifen) - oder eines, das offener ist für alles, was so geschehen kann (Gott handelt in Wundern für Menschen unerwartet - aber auch das liegt im Rahmen der Schöpfung und ihrer von Gott gegebenen Ordnung).
Von daher kennt die Kirchengeschichte auch unterschiedliche Interpretationsmuster:
Die jeweiligen Interpretationen können sich auch überschneiden. So sind rationalistische und fundamentalistische Interpretation nicht selten zwei Seiten einer Medaille: Das Wunder geschah so wie es beschrieben wird. Die Rationalisten erklären freilich das, was da beschrieben wird, nicht als Wunder - also als Bruch der Naturgesetze -, sie erklären es "naturwissenschaftlich" - in Übereinstimmung mit den Naturkonstanten. Die psychologische Interpretation kann auch mit der engen christlichen Interpretation zusammengeführt werden: Man muss nur fest glauben, dann geschieht es schon.
Die eigentliche christliche Interpretation geht einen anderen Weg: Glauben ist eine Beziehung - und Beziehungen lassen dem Gegenüber Freiraum. Glaube ist keine psychologische Selbstaktivierung - er ist Hingabe an Gott, Vertrauen darauf, dass Gott mein Leben in der Hand hält. Glaube ist gleichzeitig (!) Vertrauen darauf, dass Gott mir im Kampf gegen negative Erlebnisse hilft - wie Jesus sich gegen Krankheiten usw. gewendet hat.
Was Wunder betrifft, darf man sie nicht von Jesus Christus und seiner Reich-Gottes-Lehre abkoppeln, sondern muss bedenken, dass Wunder auch in weiteren Dimensionen im Glauben vorkommen: Wie kommt es, dass es Leben gibt? Wie geht das, dass Materie lebt? Warum kann dieses Leben: denken, lieben, Welt interpretieren? Warum folgt die Natur Gesetzmäßigkeiten? Es geht also um Gott als Schöpfer und Erhalter der Welt. Darüber hinaus sind weitere wesentliche Sachverhalte im christlichen Glauben wunderbar: Gott wird Mensch, die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, Leben nach dem Sterben. Wenn diese Handlungen als Handlungen Gottes geglaubt werden, ist der Glaube, dass Jesus Christus wunderbar gewirkt hat, leichter zu verstehen.
Warum haben sich Berichte von Wundertaten gerade mit dem Menschen Jesus verbunden? Welche Fähigkeiten hatte er, dass das geschehen konnte?
Wunder sind übrigens davon abhängig, dass man nach dem Warum fragt - dem Kausalzusammenhang. Warum fragen wir Menschen nach dem Kausalzusammenhang? Das ist als solches ein Wunder, mit dem Gott den Menschen für Wunder öffnen möchte.
Sind Wunder keine Durchbrechungen von Naturgesetzen, sondern einfach: Unsere festen Erwartungen werden unerwartet gut durchbrochen? Und zwar: als Zeichen Gottes. Naturgesetze waren den Menschen damals nicht bewusst. Entsprechend sahen sie die Wunder nicht als eine Durchbrechung der Naturgesetze an, sondern als Zeichen Gottes. Als solche können bestimmte Erlebnisse auch heute wahrgenommen werden.
Christliche Wunder-Texte
In der Antike mussten Worte, die man den Helden zuschrieb, dessen Wesen und dessen Handeln entsprechen. So war es zum Beispiel nicht unangemessen, wenn man Caesar ein Wort in den Mund legte,sondern unangemessen, wenn man ihm ein Wort in den Mund legte, das nicht seinem "Charakter" entsprach. In der Antike herrschte also ein anderes Verständnis vor als in der Gegenwart.
Aufgabe:
Wie können wir mit dem umgehen, was uns fremd erscheint? Gelten an dieser Stelle auch einige Regeln des "interreligiösen Dialogs"? https://evangelische-religion.de/dialog-pluralismus.html
Und es sieht so aus, als würden zumindest die Naturwunder Erfahrungen mit Jesus Christus wiedergeben, die als Geschichten erzählt werden. Die Oberflächenstruktur zeigt: ein Wunder. Die Tiefenstruktur zeigt die Erfahrung. Zum Beispiel: Jesus stillt den Sturm = Oberflächenstruktur. Jesus stillt die Bedrohungen des Lebens = Tiefenstruktur. Eine Menschengruppe hat die Erfahrung gemacht, dass Jesus sie in ihren Sorgen, Nöten geholfen hat. Es schien, als würde Jesus Christus sich nicht um sie kümmern. Doch dann kam Hilfe. Und das versucht diese Gruppe nun mit Hilfe einer Geschichte, die vielleicht Anhaltspunkte an umlaufenden Jesus-Überlieferungen hatte, zu erzählen. Warum als Geschichte? Eine Geschichte sagt mehr, als die Aussage: Jesus hat geholfen. Sie bringt im Hörer und Leser etwas zum Schwingen, sie wird so zu einer Geschichte, die mir gilt, die mich etwas angeht. Insgesamt sagen diese Wunder (samt der Heilungswunder und Exorzismen): Jesus will, dass Menschen leben können, dass sie befreit leben können, dass sie keine Angst haben müssen, als Gemeinschaft überleben, wenn sie teilen usw. Wundertexte öffnen eine neue Sicht auf das Leben, schenken neue Perspektiven auf die Welt, die geschlossen scheint, in der Chaos herrscht, die von irgendwelchen Gesetzlichkeiten geprägt ist und in diesen hoffnungslos erstarrt. Gesetzlichkeiten sind nur ein Teil des menschlichen Lebens. Der Mensch kann darüber hinaus schauen, kann handelnd Übles bekämpfen, hat Hoffnung, gegen allen Schein, Sehnsüchte gegen alle Realitäten, er versucht den engen Rahmen, der vorgegeben zu sein scheint, zu dehnen. Im Glauben dehnt er ihn mit Hilfe Gottes. Auch in dieser Hinsicht hat Jesus den Menschen weiter geführt. Er regt in ihm an, nicht zu erstarren, sich nicht mit den scheinbaren Realitäten zufrieden zu geben, sondern mit seiner Hilfe gegen sie anzugehen. Das nennt er "Glaube".
Das bedeutet: Die Oberflächenstruktur des Textes ist nicht unwichtig. Es kommt nicht nur auf die Tiefenstruktur an, nicht nur auf den Kern, die Grundlage des Textes. Alle Ebenen stehen in Beziehung zueinander.
Aufgabe:
Überlege: Wie kann man diese Interpretation benennen, einordnen? Füge sie den oben genannten Interpretationsmustern bei.
Auszug aus einer Predigt zu dem Text Mk 1,32-39
Aufgaben:
Bevor Du den Auszug liest, mache Dir selbst Gedanken zu dem Evangelientext.
Welchen der oben genannten Interpretationen ist dieser Auszug zuzuordnen?
Ist das die einzig richtige Interpretation?
"Jesus war sehr realistisch. Er wusste: Die Not der Menschen übersteigt sein menschliches Dasein. Er wusste aber noch etwas: Seine Aufgabe bestand nicht allein darin, die Menschen körperlich zu heilen, sondern sie bestand auch darin, seelisch zu heilen. Sie bestand darin, sie durch seine Botschaft von Gottes Reich, der Nähe Gottes aufzurichten, Hoffnungskörnchen in die Herzen und Gedanken zu pflanzen und Liebe. Das war seine eigentliche Aufgabe – und diese Aufgabe vollbrachte er nicht auf eigene Vollmacht hin – sondern er zog sich immer wieder zurück zum Gebet. Diese kleine Notiz zeigt, dass Jesus im Einklang mit seinem himmlischen Vater lebte und handelte. Und im Einklang mit dem himmlischen Vater entzog er sich den Kranken, die in Kapernaum all ihre Hoffnungen auf ihn setzten – und er zog weiter. Und die Kranken? Sie zogen hinter ihm her. Eine unendlich lange Schlange folgte Jesus. Immerzu auf seinen Spuren suchten sie ihn, rutschten auf dem Boden, humpelten, fielen blind immer wieder auf den unebenen Wegen hin, eine endlos lange Schlange des Leids folgt Jesus seit er auf der Erde lebte, folgt und folgt ihm. Und Jesus? Manche heilt er, weil sie auf seinem Weg gerade da sind, doch die vielen, vielen nicht Geheilten suchen ihn. Und auf ihrem Weg hinter Jesus her, finden manche der Notleidenden Freunde. Sie helfen sich gegenseitig. Der Blinde wird vom Lahmenden geführt, der Gelähmte wird vom Starken getragen, auch andere Menschen treffen ein, die allein Jesus sehen und hören wollen, auch sie erbarmen sich über die Menschenmenge und lernen Liebe zu üben. Auf dem Weg hinter Jesus her lernen sie teilen, nicht nur Leid und Schmerz, Freude und Lachen, sondern auch ihr Brot, ihr Geld. Manche Menschen geben auf diesem schweren Weg auf – aber manche geben nicht auf und darum wird ihr Herz verändert, ihre Gesinnung wird neu: Auf dem Weg hinter Jesus her wächst ihre Liebe zu den anderen Menschen, den Not Leidenden, wächst ihre Offenheit, ihre Hilfsbereitschaft. Menschen, die sie vorher verachtet haben, wachsen ihnen ans Herz, Menschen, die sie vorher überhaupt nicht wahrgenommen haben, kommen ihnen ganz nahe. Und sie tun Dinge, die sie sich vorher nie zugetraut haben: Sie können pflegen, sie können gute Worte sagen, sie können warmherzig schauen und zuhören, ihre Hände entwickeln Segenskräfte – auf dem Weg, dem langen Zug der Notleidenden hinter Jesus her geschehen Wunder über Wunder, weil sich die Herzen der Menschen verändern. Jesus ist weg – einfach weg. Doch an seiner Stelle treten Menschen, die nicht das tun können, was Jesus tat, aber sie können etwas, das sehr, sehr wichtig ist: sie lernen, liebender Mensch zu sein. Sie lernen, für andere da zu sein, empfindsam zu werden nicht nur für die eigenen Nöte, sondern für die Nöte anderer." (Wolfgang Fenske: http://predigten.wolfgangfenske.de/markus-1.html )
Überlege: