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Schlussüberlegung zu den: Geburtsgeschichten Jesu

 

 

Wahrheit oder Lüge?

 

So einfach - in Wahrheit oder Lüge - sind die Kindheitsgeschichten nur für den einzuteilen, der gelernt hat schwarz-weiß zu denken, aber nicht historisch.

 

Der Mensch ist nicht so einfach gestrickt. Ist Buddha von einem weißen Elefanten gezeugt worden – ja oder nein? Ist Alexander der Große vom Gott Asklepios gezeugt worden – ja oder nein?

 

Wir befinden uns in Bereichen, in denen Menschen versuchen, das in Sprache zu fassen, was ihnen besonders wichtig geworden ist. Wie kann man die wunderbare Größe eines Menschen darstellen? Wie kann man es darstellen, dass es sich um einen Menschen handelt, den es eigentlich gar nicht geben kann, weil er so außergewöhnlich ist?

 

All diese Geschichten haben also als Hintergrund das große Staunen der Menschen über den jeweiligen Menschen, mit denen sie es zu tun bekommen. Und das trifft in erhöhtem Maße auf Jesus von Nazareth zu.

 

Dieser Mensch wirkte möglicherweise zwischen einem und drei Jahren in der Öffentlichkeit. In der Begegnung mit ihm haben Menschen gelernt, die Welt mit anderen Augen zu sehen: Liebe deinen Nächsten – sogar deinen Feind, wende dich dem Mitmenschen zu, tue ihm, was du von ihm getan haben möchtest; an der Stelle Gottes legt er Gebote ganz neu aus, befreit Menschen von Krankheiten, von Sünde auf eine Weise, die einfach nur als wunderbar, wunderhaft bezeichnet werden kann.

Und dann ist dieser Mensch durch grausame Menschen grausamst hingerichtet worden – doch es geschah irgendetwas Neues, was kaum fassbar, gar nicht fassbar war: Er wurde als der Lebende, Lebendige, mit Gott Herrschende erfahren, gesehen, gehört…

Und wie soll man nun all diese Erfahrungen in Worte packen? Wie soll man nun diese neue Weltsicht, die dieser Jesus von Nazareth mit in die Welt gebracht und den Seinen vermittelt hat, in Worte fassen? All das sprengt die kleinen Laute, Worte genannt. Worte können nur ganz wenig von der Welt erfassen – und können sie Göttliches, Gott erfassen? Gott wird Mensch – welche Worte können dieses Absurde, Unmögliche aussprechen?

 

 

Was können Worte leisten? Wie sagt man Unsagbares?

 

Vor diesen Fragen stehen wir, wenn wir die Kindheitsgeschichten lesen.

Matthäus und Lukas versuchen mit Hilfe alttestamentlicher und auch heidnischer Tradition zu sagen, was sie und die Christen vorher erlebt haben – und verstehen doch im Grunde nichts.

Das wird an den Worten des Simeon im Kontext des Lukasevangeliums deutlich: Das Volk Israel erwartete sehnsüchtig einen ganz anderen, und die Heiden sehen in Augustus den großen Friedensbringer, den Retter  – aber in der Begegnung mit Jesus von Nazareth haben Menschen erfahren, dass Gott eben ganz eigene Wege geht. Lukas hat sich nicht gescheut, diese großen Sehnsüchte des Volkes ganz groß darzustellen – sie aber dann mit Hilfe der Worte des Simeon in einem neuen Licht scheinen zu lassen. Dieses Sprechen in Gegensätzen, dieses Spielen mit Traditionen, Erwartungen, Worten – das ist im Grunde adäquates Reden von dem, was die glaubenden Menschen bis heute erfahren haben.

 

Wie können wir die Größe Gottes darstellen? Wie sprechen wir angemessen von Gottes Handeln in Jesus von Nazareth, dem Christus – und das durch die Kirchengeschichte hindurch?

Wir schweigen lieber.

Vielleicht aus Scheu, vielleicht aus Faulheit, vielleicht aber auch, weil wir irgendwie gar nichts begriffen haben. Manche können nur den Kopf schütteln und sagen: Lüge. Andere staunen und sagen: Gott sei Dank.

 

Musste man denn diese Erfahrungen in historisierender Sprache darstellen? Ja, denn jüdisches Denken mit Bezug auf Gott ist historisch geprägt und nicht philosophisch, auch nicht poetisch.

 

An den Geburtsgeschichten merken wir: Es kommt nicht darauf an, ob Hirten kamen oder Weise, ob Herodes nun Kinder ermordet hat oder nicht. Es kommt auf das an, was diese Texte in der jeweiligen Gegenwart bewirken wollen und bewirken: Menschen erfahren, dass sie nicht allein sind, dass Gott sie in schweren Geschichtsereignissen nicht allein lässt, dass er in Jesus Christus einen Ausweg geschickt hat, mit dem er den Unmenschlichkeiten einen Kontrapunkt entgegensetzt.

 

Was wir sagen können: Diese Glaubensgeschichte hat äußerst viel Gutes in der Menschheit bewirkt - das nicht allein auf der Oberfläche, sondern bis in tiefere Schichten des Menschen hinein.

 

Was ist Geschichte/ Geschichtsschreibung?

 

Dazu s. Geburtsgeschichte Mt: http://www.evangelische-religion.de/geburtsgeschichte-mt.html

 

Zu Versuchen, die Geburtsgeschichten historisch einzuordnen, s. http://kath.net/news/48796 : Michael Hesemann: Das Geheimnis der Weihnacht, ein Zitat aus: ders.: Jesus in Ägypten, Herbig 2012.

 

 

 

Aufgabe:

- Lies Lukas 2,1-20. Was findest Du auf der obersten Ebene des Textes: Welche Informationen bietet er.

- Lies Lukas 2,1-20 noch einmal:

Was findest Du auf der tieferen Ebene des Textes, der Ebene des Gefühls, der Emotionen:

Welche Worte bieten Zuversicht, Hoffnung, Geborgenheit, Frieden... Welche Worte "lassen es warm ums Herz werden"?, sprechen von Licht, Gesang, Himmel, Ehre... - also: positive Worte...

Beachte dabei, dass wir in Lukas 2,19 der Maria tief ins Herz bzw. in ihre Gedanken blicken: Sie bewegte das Wort in ihren Herzen bzw. dachte immer darüber nach. Kann es sein, dass wir dadurch auch die Worte im Herzen bewegen, immer darüber nachdenken?

 

Zum Nachdenken:

Bildet ein Foto, das von mir gemacht wurde, mich ab? Zeigt es meine Gedanken, Erfahrungen, Sorgen, Freuden...? Ein Foto zeigt nur Vordergründiges. Auch für Christen (bzw. religiöse Menschen insgesamt) ist die sichtbare Welt nur ein vordergründiger Teil der Welt. Hinter allem ist Gott zu sehen. Doch wie beschreibt man Gott im Hintergrund? Mit welchen Worten? Welche Gattung verwendet man? So kommen wir zum religiösen Sprachspiel/Soziolekt. Religionen verwenden eine eigene Sprache, um das, was wichtig ist, aussprechen zu können. Ist sie Lüge? Ist sie Wahrheit? Man muss sie verstehen lernen, um das beurteilen zu können.

 

 

*

Unehrlich - ehrlich

 

Mir wurde vorgeworfen, nicht ehrlich zu sein. Es geht um die Geburtsgeschichten Jesu. Der Vorwerfende hat einen anderen hermeneutischen Schlüssel als ich. Er meint, man müsse die Geburtsgeschichten auf der Ebene des Historischen interpretieren, von daher stimme alles nicht. Aber: Ich habe einen anderen hermeneutischen Schlüssel. Mein Schlüssel, die Texte aufzuschließen, „schaut“ nicht auf irgendwelche historischen Möglichkeiten (gab es den Stern, den Kindermord, die Jungfrauengeburt, die Flucht nach Ägypten, die Hirten auf dem Feld usw…?). Ich schaue auf die Texte, auf das, was Matthäus und Lukas uns zu sagen haben. Sie haben uns eine ganze Menge zu sagen. Und das wissen, spüren Menschen durch die Jahrtausende hindurch weltweit.

 

Doch warum betteten Matthäus und Lukas das historisch ein? Weil aus jüdischer Sicht Gott in dieser Welt handelt. Gott ist kein ahistorischer Mythos. Dass er in dieser Welt real handelte, sah man an Jesus Christus. Dieses Handeln des ganz besonderen Menschen wurde mit Blick auf die Geburt zurückverfolgt. Wer jetzt auferstanden war, dessen Geburt bzw. die Zusammenhänge mit seiner Geburt mussten auch ganz besonders gewesen sein – und das sah man ja auch an den umlaufenden Geschichten. Gottes Sohn geht wunderbar aus der Welt hinaus – indem er als der Auferstandene erfahren wurde – so kam er auch ganz wunderbar zur Welt. Dieses Wunderbare bekommt seine Ausdrucksform im Matthäusevangelium aus der Perspektive des Josef und im Lukasevangelium aus der Perspektive der Maria. Josef war beeindruckt von den Weisen, Maria war beeindruckt von den Hirten. Josef war beeindruckt, weil er als Empfänger einer Traumbotschaft den kleinen Messias Jeschua rettete, Maria war beeindruckt, weil der Engel mit ihr sprach, und sie sich auf dieses wunderbare Ereignis der Geburt des Gottes Sohnes eingelassen hatte. Auf diesen Weg kommen wir dann sekundär auf eine andere historische Ebene: Die Texte hatten eine große Wirkungsgeschichte. Sie haben historisch gewirkt, indem sie Menschen durch alle Zeiten und weltweit Mut machte, sie stärkte, neue Perspektiven schenkten.

 

Eine andere Voraussetzung, die ich mache – mit Blick auf meinen hermeneutischen Schlüssel: Der Gott, der damals durch seinen Geist wirkte, wirkte in Matthäus und Lukas, wie er auch heute wirkt in den Glaubenden. Auf dieser Ebene des Wirkens des Geistes Gottes sind die Texte zu verstehen: Gott greift in diese Welt ein. Ihr Glaubende, Ihr seid nicht allein.

 

Was jetzt auf der primären historischen Ebene zutreffend ist, was nicht, das kann die Forschung diskutieren. Das kann die Forschung aus dem jeweiligen Zeitzusammenhang (den der damaligen Zeit, dem Wissen der Gegenwart) herauszufinden versuchen. Gab es Anhaltspunkte für diese Texte, wer könnte sie – oder wer könnte einzelne Aspekte – überliefert haben? Was wissen wir noch von Maria? Woran erinnerte sie sich? Wie finden Erinnerungen statt – psychisch gesehen. Was wusste Jakobus, warum spielt Augustus noch eine Rolle, warum Herodes, obgleich sie ja schon lange tot waren? Die Verwobenheit mit der „Biographie“ des Täufers Johannes – was spielt das für eine Rolle? Warum haben wir zwei so unterschiedliche Versionen, die schon recht alt sind – aber einander nicht beeinflusst haben? Warum ist der Kern gleich (Jungfrauengeburt)?

 

All das muss auf der Ebene der Forschung argumentativ und selbstreflektiert – wie es sich für Wissenschaft gehört – dargelegt werden. Aber dazu gehört auch die Anerkenntnis, dass es unterschiedliche hermeneutische Schlüssel gibt. Meiner liegt auf der Text-Ebene. Diese kann allerdings ohne das Erforschte nicht existieren. Denn auch dieser Schlüssel ist Ergebnis der Forschung (z.B. Redaktionskritik, Linguistische Methodenschritte…).

 

Wenn man mir nun Unehrlichkeit vorwirft, weil ich den einen hermeneutischen Schlüssel, den Historischen, nicht als den wichtigsten aller Schlüssel ansehe, mag man es tun. Das zeigt allerdings Beschränktheit und Fixierung auf einen einzigen Zugang.

 

Dann ist selbstreflektierend zu fragen: Warum bevorzuge ich diesen Schlüssel? Aus Glauben heraus. Nur aus Glauben heraus? Nein, denn der pure Historizismus war einmal. Forschung ist schon weiter. Warum bevorzugt dieser andere den historisch engen Schlüssel? Aus Unglauben heraus – um die Unbedeutendheit des christlichen Glaubens herauszuheben. Aber dagegen spricht aus meiner Sicht die Relevanz, die diese Texte in Zeiten und Völkern bekommen haben. Die liegt eben – aus meiner Perspektive – auf der aufgezeigten Ebene.