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Sein und Sollen

 

Das Sein geht dem Sollen voran. Das heißt: Der Mensch weiß sich von Gott geliebt – die Folge ist das Handeln im Sinne Gottes. Umgekehrt fordert die allgemeine Moral (auch leider die des Christentums), das Sollen vom Sein (mit Blick auf Gott) trennen: Du sollst so handeln, auch wenn du es nicht einsiehst. Du sollst so handeln, weil es gut ist, weil es die Gruppe fordert, weil es Tradition ist, weil es logisch ist, usw. Diese Sicht, die das Sollen betont, ist gesellschaftlich relevant. Die Sicht Jesu ist eher elitär, ist Ideal. Das Sein des Menschen: Er ist Ebenbild, hat eine Beziehung zu Gott, und aus dieser heraus handelt dann der Mensch liebend. Wie Meister Eckhart (in Erfurt bin ich wieder auf ihn gestoßen), der Mystiker, sinngemäß sagte: Man soll nicht darüber nachdenken, was man tun soll, sondern darüber, wer man vor Gott – in Bezug auf Gott – ist. Daraus folgt dann das Handeln.

 

Es geht hier also nicht um Humes Gesetz (aus Seinsaussagen kann man keine Sollensaussagen machen). Da das Sein aus Gott keine logische Vorgabe ist, sondern das Sein ist ein Beziehungsbegriff, der mit Gott zusammenhängt. Zudem bedeutet die „Sollensaussage“ nicht, dass die Folge der Beziehung möglichst logisch konsequent/normativ ist (was laut Hume eben nicht geht), sondern: Es liegt in der Verantwortung des Einzelnen, welche Folgen sein Sein, seine Beziehung zu Gott in der Realisierung, also im Handeln, hat. Die Folge ist ein Handeln aus Liebe, das heißt eine, die dem anderen Wohl tut – aber was das konkret bedeutet, das muss der Einzelne aus seiner Beziehung zu Gott entscheiden. Dass aus dem Sein der Gottesbeziehung die Liebe folgt, auch wenn „Liebe“ weit gefasst ist, behält auf einer neuen Ebene das „Sein-Sollen-Muster“ bei. Das darum, weil sie – wie auch immer Liebe konkret aussieht – von Gott in Jesus Christus vorgegeben ist. Aber das erkennt man nicht nur über biblische Schriften, sondern: Wer aus der Beziehung mit Gott (aus dem Geist Gottes) lebt, erkennt, dass dem so ist. Das Sollen ist dann kein Sollen mehr, sondern ein Leben im Sein.

 

Übrigens halte ich die gesamte Diskussion die aus dem Hume-Gesetz folgte, letztlich für gesellschaftlich nicht relevant. Da jede Gesellschaft nur funktioniert, weil man dieser Sein-Sollen-Argumentation folgt. Nachdenkenswert und ein wenig praktikabel finde ich allerdings die Ansätze der Diskursethik: Man hält alles so lange bei, bis man den jeweiligen Punkt ausdiskutiert bzw. sich geeinigt hat. Sollen folgt auf ein diskutiertes Sein, bis man ein neues „Sein“ beschlossen hat – das man dann allerdings wieder zur Disposition stellen muss, denn aus dem Sein kann ja kein Sollen folgen. Ob das realistisch ist, und den Zusammenhalt einer Gesellschaft fördert, muss man diskutieren – freilich: Die gesamte Diskursethik hat selbst die Basis im Sein-Sollen…

 

Anmerkung: Gefährlich wird die Sein-Sollen Problematik allerdings dann, wenn der Sozialdarwinismus in den Blick kommt: Wenn es stimmt, dass der Stärkere/der Fitteste sich durchsetzt, hat der Stärkere /Fitteste dann auch das Recht, sich durchzusetzen? Diese Sicht ist tief auch in unserer modernen Kultur verwurzelt. Nicht unbedingt, was die rassistische Sicht betrifft, aber die gegen die Natur, gegen Tiere, die Wirtschaft, die Forschung, in sozialer Hierarchie tiefer unten stehende Menschen ist von dieser Sicht geprägt.

 

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