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Menschenwürde: Zusammenfassung
Der Mensch hat Würde – aber sie ist nicht aus dem Menschen selbst heraus zu definieren. Der Mensch selbst ist biologisch gesehen nur ein Lebewesen unter anderen. Die Besonderheit des Menschen ist vielfach begründbar (Verstand, Selbstbewusstsein…). Wenn man Würde jedoch aus dem Menschen heraus definieren würde, würde man immer etwas finden, das manche Menschen aus dieser Würde herausfallen lassen kann.
Altes Testament
Gilt die Wesenswürde dem einzelnen Menschen oder dem Menschen als Gattung?
Mit Blick auf die alttestamentliche Würde-Vorstellung kann man natürlich fragen: Hat nur der ansprechbare Mensch, derjenige, der das von Gott gesetzte Ziel, der freie, autonome, selbstbestimmte Mensch Würde? Um das zu umgehen spricht man auch vom Alten Testament her gesehen schon von Wesenswürde, die dem Menschen zukommt: der Mensch ist Ebenbild Gottes, nicht, weil er einen Auftrag ausführen kann usw. sondern weil er von Gott angesprochen wird (er ist relationales Ebenbild). Er ist Gottes Ebenbild, das heißt, er ist wie Gott ein Geheimnis, er ist nicht definierbar – auch wenn er nicht ansprechbar ist, auch wenn er auf die Wesenswürde nicht mit Gestaltungswürde reagieren kann, ist er Ebenbild Gottes.
Neues Testament
Mit Blick auf die neutestamentliche Würde-Vorstellung heißt das: Die Wesenswürde wird durch Jesus betont: Der schwache Mensch, der Sünder, der ausgestoßene Mensch hat Würde – und er bekommt sie durch Jesus auch in seinen gesellschaftlichen Bezügen zurück. Und diese Würde gilt selbst dem verstorbenen Menschen, denn Gott will ihn bei sich haben – in seinem Reich.
Die Reich-Gottes-Botschaft beinhaltet noch einen weiteren Aspekt zum Thema Würde: Jeder ist zum Reich Gottes berufen – niemand darf in seiner Freiheit und Verantwortung eingeschränkt werden – der Mensch, der verzerrtes Ebenbild Gottes ist, wird seine Gottebenbildlichkeit in der Auferstehung vollenden. Verbunden damit, dass der Mensch diese kommende vollendete Gottebenbildlichkeit schon vorwegnehmen soll, bedeutet das: Der Mensch ist als Nachfolger Jesu auf dem Weg, diese Gottebenbildlichkeit schon jetzt Gestalt werden zu lassen, in dem er den anderen als ein solches Ebenbild Gottes (Mt 25,31ff.) ansieht. Ohne diese Ewigkeitsperspektive bleibt der Mensch ein dem Tod verfallenes Wesen – somit geht seine Würde verloren – und man kann sie ihm entsprechend schon jetzt nehmen. All diese Aspekte finden ihre Konkretion in der Gestaltungswürde.
Weil Gott den Menschen aufwertet, hat der Mensch Wert. Gott spricht ihm Wert zu – auch wenn der Mensch sie am anderen und an sich selbst nicht erkennen kann. Es handelt sich also um eine Beziehungs-Würde, relationale Würde, die die Wesenswürde des Menschen bestimmt. Es ist nicht etwas am Menschen, das ihm Würde gibt. Die Würde ist „transzendent“, ist ein Geheimnis.
Auch Menschen untereinander haben Beziehung. Und von hier aus gesehen haben manche Menschen für Menschen mehr Würde. Aber es fallen eben auch Menschen aus dieser menschlichen relationalen Würde heraus, weil sie aus irgendeinem Grund nicht von der jeweiligen Menschengruppe anerkannt werden. Von daher kann die Beziehung des Menschen zum Menschen in der Frage der Würde nicht die Gottesbeziehung ersetzen.
Menschenwürde - Religionen und Religionskritik
Die christliche Herleitung der Menschenwürde mit Blick auf Jesus hat einen Nachteil: Sie ist im Gespräch mit anderen Religionen nicht zu vermitteln. Der schöpfungstheologische Ansatz des AT ist das eher, weil alle Religionen an einen Gott/Götter/Mächte glauben. Allerdings haben die Religionen unterschiedliche Anthropologien entwickelt – unterschiedliche Menschenbilder.
Im Gespräch mit der Religionskritik kann der Ansatz der Gestaltungswürde, die Jesus mit seiner Lehre und seinem Leben vertreten hat, vertieft werden – allerdings spielen Rechtfertigungslehre und Reich Gottes in dieser Hinsicht keine Rolle.
Religionskritiker suchen einen eigenen Ansatz, um die Würde des Menschen bestimmen zu können. Selbst der Ansatz von Kant ist manchem Religionskritiker in seiner Begründung zu metaphysisch, zu religiös: dass man so handeln soll, dass man den anderen nicht für sich selbst missbrauchen soll.
Es gibt folgende wesentliche Richtungen:
Der Mensch muss in erster Linie an sich denken (Individualismus-Hedonismus). Vor allem soll der Begriff Würde weniger absolut sein, damit bestimmte gesellschaftliche Veränderungen ermöglicht werden. Es wird die Autonomie, das Selbstbestimmungsrecht betont - zum Beispiel:
Selbstbestimmungsrecht der Frau – für Abtreibung;
Selbstbestimmungsrecht des Menschen – wann ist der Mensch ein Mensch;
Selbstbestimmungsrecht des Menschen – für Suizid, Sterbehilfe;
Selbstbestimmungsrecht des Menschen – für Genforschung auch an embryonalen Zellen;
Selbstbestimmungsrecht der Eltern – gegen behinderte Kinder;
Selbstbestimmungsrecht der Gesunden – zur Zeugung von Menschen, um an die Organe zu gelangen. Es ist nur schwierig, abzugrenzen, denn gilt das auch dann: Selbstbestimmungsrecht des reichen, bedeutenden Menschen – gegen arme, unbedeutende… (Organspende)?
Und die zweite Richtung: Der Mensch muss darauf achten, dass es der Gemeinschaft nutzt: Kollektivismus-Utilitarismus. Besonderes Beispiel für den Utilitarismus ist der Ansatz von Singer: Der Mensch wird auf seine Nützlichkeit für die Gesellschaft reduziert.
Die Richtung, die die Gestaltungswürde (Wetz) betont, versucht hervorzuheben, dass die Rechte des Individuums durch das Kollektiv, die Gruppe, gewahrt bleiben. Gut und menschenwürdig ist das, was die Menschheit bislang an Menschenrechten verwirklicht hat, es gilt festzuschreiben, was der Mensch als gut empfindet, und das ist auch von der Gesellschaft einzufordern. Es gilt, andere nicht verächtlich zu machen und zu demütigen, er hat ein Recht – auch wenn nur ein Minimum an Recht – auf Lebensqualität (Leidminderung), auf Handlungs- und Entscheidungsfreiheit, ein Recht darauf, nicht ohne Einwilligung missbraucht zu werden, Recht auf Hilfe in Not, die man nicht selbst verschuldet hat.
In der Frage nach Würde geht es nicht allein um eine Frage Religion-Nichtreligion, sondern auch um die Frage des Verhältnisses zwischen Gesellschaft und Individuum.
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Sinn des Lebens
Nicht nur Würde bedarf des Gottesbezuges. Auch die Frage nach dem Sinn des Lebens. Menschen finden in allem möglichen Erfüllung für ihr Leben: Familie, Nachkommenschaft, Gemeinschaft, Beruf, Karriere, im finanziell abgesicherten Leben, im Hobby, darin, dass ich von anderen in den Medien oder dem „Sozialen Netzwerk“ wahrgenommen werde oder einfach im unreflektierten aber glücklichen Dasein. Aus diesen Gründen ist die Notwendigkeit des Gottesbezuges nicht immer ersichtlich. Doch angesichts des Todes, aber auch schon angesichts schwerer Erkrankungen und anderen Notlagen kommen fragen auf, die nach den Sinn des Lebens auf einer anderen Ebene fragen lässt: Ich werde sterben – was machen dann Familie, Beruf, Hobbys für einen Sinn? Alles, was sinnvoll schien, zerrinnt. Auch wenn Goethes Werke den Menschen Johann Wolfgang überlebt haben – er selbst ist nicht mehr. Und von hier aus gesehen fragen Menschen auf einer anderen Ebene, der religiösen Ebene nach dem Sinn. Und diese Ebene wird die irdischen Versuche, den Lebenssinn zu finden, überdauern. Aus christlicher Perspektive wird der Sinn darin gefunden, dass das fragmentarische Leben auf die Vollendung zugeht. Das verzerrte Gott-Ebenbild Mensch wird zum vollendeten Ebenbild Gottes.