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Krieg und Frieden: Antike bis zum 19. Jahrhundert (kurzer Überblick)

 

1. Platon (428-348) unterscheidet zwischen äußerem und innerem Krieg. Der innere Krieg = Aufruhr in einer Stadt (kann schlimmer sein als gegen äußere Feinde). Dieser ist durch gute Gesetzgebung, durch freundschaftliche und friedliche Gesinnung zu erreichen. Der äußere Krieg betrifft die Stämme der Griechen und der ist anders zu behandeln als der Umgang mit den Barbaren. Barbaren sind Feinde, Griechen untereinander würden nur als Freunde Krieg führen. Ziel ist es aber, die Barbaren wie Hellenen anzusehen. (Vgl. AT: Trennung zwischen: Volk – nähere Völker – ferne Völker; das hat aber eine andere Intention.)

 

2. Aristoteles (384-322) – Lehrer von Alexander dem Großen: Die Gesetze der meisten Staaten sind daraufhin ausgerichtet, Krieg führen zu können. Dagegen soll der wahre Staatsmann so handeln, dass er das Beste – mit Blick auf Frieden/Ordnung – für die Menschen will, aber er muss realistisch sein, das heißt, manche Menschen benötigen den Despoten, manche Staaten benötigen eine kriegerisch wachsame Gegnerschaft. Aristoteles vertritt elitäres Denken: Es gibt Herrscher und Beherrschte (Menschen, von Natur aus Sklaven.

 

3. Zenon von Kition (333-362): Krieg kommt nicht von Gott, sondern vom Menschen, der die göttliche Ordnung zerstört. Chrysipp (um 300-208) sieht das ähnlich. Kosmopolis – Stadt des Kosmos ist Ordnung und Harmonie – Menschen machen sich Sondergesetze, die in Kriege ausarten. Man muss sich auf die Ordnung konzentrieren und den Frieden als Frieden erstreben. Diese Aussagen wurden aufgenommen von Seneca, Plutarch, Epiktet, Marc Aurel (alle 1./2. Jh. n. Chr. Politisch wurden sie kaum wirksam. Kaiser Marc Aurel fand zum Beispiel den Krieg lächerlich und grässlich, war aber kriegerisch massiv tätig – und auch in der Christenverfolgung). (Vgl. AT: Krieg ist Folge menschlicher Schuld – alle Menschen sind Ebenbild Gottes.)

 

4. Cicero (106-43): Römisches Fetialrecht: (Priesterrecht) Krieg ist unrecht und frevelhaft – darum muss er von Priestern begleitet werden und beginnt nach bestimmten formalhaften Einleitungen: - Kriegs Androhung, - Kriegserklärung, - mystische Handlung (Lanzenwurf in feindliches Land). Dann war Krieg rechtmäßig – gerechter Krieg. Diese Frage nach Rechtmäßigkeit wurde 155 v.Chr. von dem Philosophen Karneades in Frage gestellt. Das sei nicht Recht, was die Römer mit ihrer Expansionspolitik betreiben. Darum wurde der Krieg der Römer ethisch begründet. Cicero: Die römische Expansionspolitik dient der Ehre/Treue (fides) und des Heils/Rettung/Schutz (salus). Sie dient der Verbreitung von Gerechtigkeit und Recht in Staaten des Unrechts. (Vgl. AT: Kriegsgesetze: Bedeutung des Priesters im Kontext eines Krieges. Und: Kriege dienen der Durchsetzung des Gottes-Rechts.)

 

5. Die Hauptströmung des christlichen Glaubens lehnte die Teilnahme am Militär ab, weil Jesus Feindesliebe und Gewaltlosigkeit lehrte. Beispielhaft sind Tertullian (150-220), Origines  (185-254), Lactantius (250-320), ebenso die gnostisch-christlichen Manichäer (Mani: 216-276 – wegen der alttestamentlichen Kriege lehnte er auch den alttestamentlichen Gott ab).

 

6. Augustinus (354-430) verschmolz griechisch/römische, alttestamentliche und jesuanische Sichtweisen zum Thema Krieg/Frieden. Und diese wurden dann in Europa der nächsten Jahrhunderte relevant. Er verfasste sein Werk nach der Eroberung Roms durch die Westgoten um 410 (De civitate Dei): absoluter Pazifismus ist Weltflucht – die Welt ist gefallen, sündig, von daher sind Kriege notwendig – es herrscht aufgrund der Sünde nicht nur Frieden. Frieden ist harmonische Ordnung. Alles hat in dieser Ordnung seinen Platz, vom Stein bis hin zum Menschen.

Augustinus denkt den Frieden umfassend:

  1. Wer sich Gott nicht unterordnet (geistlicher Friede) kommt nicht zum
  2. Inneren Frieden, weil er aus Hochmut die Ordnung Gottes missachtet: Seele und Leib kämpfen gegeneinander, das heißt: Triebe und ÜberIch / Ich. Das ist für Augustinus die Hölle: der Konflikt des Menschen mit sich selbst. Weil der Mensch sich nicht selbst beherrschen kann, will der Mensch über andere Herrschen, es kommt zum
  3. Sozialen Unfrieden. Und dieser beherrscht alles: Familien, Nachbarn – bis hin zum Staat.

Gott hat der sündigen Welt Hierarchie gegeben, damit Ordnung annähernd hergestellt wird, was aber aufgrund der Sünde der Menschen nie vollständig möglich ist. Dennoch: Der Staat hat den Bildungsauftrag sowie legislative, exekutive und juridische Gewalt, soll mit Weisheit und Recht regieren, ausgerichtet an der Herrschaft Gottes (civitate Dei). Die Regierung handelt im Auftrag Gottes gegen Krieg – ist aber gegen Gott eingestellt. Damit entsakralisiert er die Herrscher, Herrscher sind nicht per se "heilig"/"göttlich" – er trennt Kirche und Staat. Der Christ darf Soldat sein, muss aber unter manchen Bedingungen nicht Gehorsam leisten. Als Privatperson ist er der Bergpredigt unterworfen, als Soldat aber nicht.

Augustinus war Manichäer, wurde dann später aber Christ und verteidigte die alttestamentlichen Kriege als von Gott befohlene Kriege, die aber durch das NT als überholt gelten. Das AT muss aus der Perspektive des NT/des Geistes Gottes gelesen werden. Die Aufforderung, friedfertig zu sein, gilt nicht nur einem Volk, sondern allen Völkern.

Kriege sind nun nur noch möglich, wie bei den Römern, um Unrecht zu bestrafen – dann sind sie klagend zu führen. Aber anders als bei Cicero: Imperiale Kriege sind wie Präventivkriege nicht gerecht. Ziel der Kriege ist Friede – von daher zielen sie immer auf Eintracht mit dem Feind. Auch der einzelne Soldat soll Pazifist sein – sich beherrschen, ohne Hass agieren, seine Motivation hinterfragen (Unterscheidung von Militär und Zivilpersonen; Ablehnung der Folter). Er lobte Kaiser Theodosius wegen eines Krieges, den er klagend führte und Feindschaft danach nicht duldete (civ. V,26).

 

7. Alkuin (735-804) und andere Bischöfe kritisierten Karl den Großen, weil er unrechtmäßig Krieg mit Missionierung verbunden hat. (Europa war in dieser Zeit noch lange nicht christlich.)

 

8. 10. Jahrhundert Pax Dei/Treuga Dei – Gottesfrieden: „Anfänge europäischer Friedensbewegung“. Eindämmung der Kriege des Adels untereinander.

 

+ Anna Komnene (1083-1154) eine Geschichtsschreiberin aus Byzanz, Tochter des Kaisers, sah Krieg als großes Übel an, als Folge politischen Versagens.

 

+ Zu den Kreuzzügen s. http://evangelische-religion.de/kreuzzüge.html

 

9. 1181-1226: Franz von Assisi war pazifistisch eingestellt: Als Kreuzfahrer eine Stadt eroberten, wurde Franziskus durch die Gewalt erschüttert „Brüder, besinnt euch, nicht die Muslime versperren euren Weg, sondern euer eigener Teufel, euer Hass und eure Habsucht“, soll er gesagt haben. Bestand hat eine Herrschaft nur, wenn er Frieden mit sich bringt - den Frieden, den Jesus Christus in die Welt brachte.

 

+ 1139 Konzil verurteilt todbringende und gottverhasste Kriegstechnik (Armbrust).

 

10. Thomas von Aquin (1225-1274) greift Traditionen auf – vor allem auch Augustinus -, verknüpft diese aber mit dem neu aufgekommenen Aristotelismus und der Betonung der „Naturgesetze“/Naturrecht – das heißt: Es gilt allen. Glaube, Hoffnung, Liebe sind Tugenden, die der Mensch nicht aus sich selbst hat, sondern von Gott geschenkt bekommen muss (virtus infusa). Im Rahmen der Liebe/Caritas bespricht Thomas das Thema Frieden, als Wirkung der Liebe. Die Störung ist der Krieg. Wann ist Krieg erlaubt?

  1. wenn der Fürst ihn einsetzt, der Vernunft entsprechend, zum Wohl der Gemeinschaft;
  2. wenn er (mit den Römern) gerecht ist d.h. Unrecht ahndet,
  3. aber – wie Augustinus – da Krieg dem Frieden dient, muss schon im Krieg friedvoll gehandelt werden. (Heute: Humanitäre Intervention.)
  4. Ein Krieg gegen Ketzer ist gerecht, um das Gesetz zum Wohl des Staates durchzusetzen, nicht aber ein Präventivkrieg, um Glauben unter Heiden durchzusetzen.
  5. Im Krieg selbst ist die Tötung Unschuldiger zu vermeiden, auch Schuldiger dann, wenn nicht eindeutig ist, wer schuldig und wer nicht schuldig ist.

 

11. Im 15. Jahrhundert Hussiten/Böhmische Brüder. Im Mittelalter waren Katharer, Albigenser und Waldenser für Gewaltfreiheit.

 

12. Erasmus von Rotterdam wurde um 1517 beauftragt, zu einer geplanten Friedenskonferenz eine Friedensschrift zu verfassen: Die Klage des Friedens. Es gibt keinen gerechten Krieg – Krieg bedeutet, Schuld auf sich zu laden, Herrscher sollten eher auf Macht, Land, Vermögen verzichten, als Kriege zu führen: „Wo denn ist das Reich des Teufels, wenn es nicht im Krieg ist? Warum schleppen wir Christus hierhin, zu dem der Krieg noch weniger passt als ein Hurenhaus?“ Seine Friedensschrift sah Erasmus als eine im Auftrag des Habsburger Herzogs Karl, Franz I. von Frankreich und Papst Leo X. an und sollte den Teilnehmern eines geplanten Friedenskongresses (der nicht stattgefunden hat) als Denkanstoß dienen. Auf dem Friedenskongress sollte nach der Schlacht von Mariano (20.000 Tote), in der Feuerwaffen ("Höllenmaschinen") verwendet wurden, die Lage in Italien geordnet werden. Gewidmet wurde sie dem Bischof von Utrecht, der als Mediator dienen sollte. Friedensarbeit ist Folge christlicher Ethik, sie ist Aufgabe aller, nicht nur der Herrscher. Er vertritt nicht allein neutestamentliche pazifistische Sicht ("Wer immer Christus verkündigt, verkündigt den Frieden"), sondern argumentiert zivilrechtlich: Folge des Friedens ist eine christliche Gestaltung der Gesellschaft. Er griff die Herrscher an, weil sie Kriege führten, um sich selbst Macht, Ehre und Besitz anzueignen und appelliert an deren christlichen Glauben. Er wendet sich dagegen, dass moderne Waffen den Namen von Aposteln bekommen. Krieg wird als Krankheit angesehen – nicht als Folge der Vernunft. Zur gleichen Zeit verfasste Thomas Morus seine Utopie, der Jesaja 2,2-4 zugrunde lag.

 

13. Francisco de Vitoria (1483-1546) gilt als „Vater des internationalen Rechts“.

 

14. Bartholome de Las Casas (1485-1566) (Begründer der Menschenrechte): Die leidenden Indianer sind der gekreuzigte Christus. Aufgrund seiner Einwände gegen das Verhalten der Spanier in Südamerika, wird mit dem Krieg nicht nur die Tötung verbunden, sondern auch der Besitz kommt in den Blick, zudem das Thema der Verhältnismäßigkeit.

 

15. Radikales Täufertum (Zwingli-Schüler): Christen dürfen nicht Obrigkeit sein, weil Jesus auch es abgelehnt hat, König zu werden. Obrigkeit darf Schwert gebrauchen – liegt aber in der Ordnung Gottes außerhalb der Vollkommenheit Christi.

 

16. 17. Jahrhundert Quäker (Society of Friends) George Fox verweigerte Kriegsdienst unter Cromwell, unter William Penn wanderte die Gruppe aus, gründete Pennsylvania… – sie bildeten einen Verbindungsausschuss der historischen Friedens Kirchen (1935).  Mennoniten (haben nach Verfolgung nur noch zum Teil den radikalen Pazifismus vertreten) (einschließlich Amish und Hutterer und Kirche der Brüder/Church oft he Brethren).

 

17. Matthias Bernegger (1620): Tuba Pacis – gegen Kriegshetze; Emeric Crucé (1623): Friedensplan für Europa und die Welt; Maximilien de Béthune (1638): Friedensgeheimplan – Fiktion, aber weitreichende Auswirkung.

 

18. Westfälischer Friede (24.10.1648 – nach 5 Jahren Verhandlung) – europäische Friedensordnung (bildete das Ende  des 30-jährigen Krieges) gleichberechtigter Staaten und Miteinander der Konfessionen. Realismus ist Maßstab für politische Einigung. Über dem Vertrag steht: „im Nahmen der Hochheyligen untheilbaren Dreyfaltigkeit, Amen

 

19. Voltaire (1694-1778) wandte sich gegen den Krieg, der Länder verarmen lässt – aber: Menschen sei der Krieg so schwer abzugewöhnen wie den Wölfen das Fressen von Lämmern. Man denke auch an seinen Briefwechsel mit Friedrich II. (Kritik am Christentum, weil in seiner Zeit Europa von Kriegen beherrscht war.)

 

20. Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) war auch friedensbewegt. Aber er sah, dass angesichts des Absolutismus, der herrschte, der Friede keine Chance hat. (Anders als der als utopisch angesehene Versuch von Abbé Saint Pierre [1658-1743] [Traktat vom ewigen Frieden]).

 

21. Immanuel Kant (1724-1804): Der Mensch ist bösartig, gibt sich aber dennoch eine Ordnung, seine Natur treibt ihn dazu,  damit er trotz Boshaftigkeit mit anderen leben kann (der Mensch/Bürger – nicht die Könige). Wenn Menschen durch Vernunft Recht herstellen können, müsste es auch zwischen den Völkern möglich sein. Zustand der Wildheit führt letztlich zum Völkerbund. Seine Schrift (Zum ewigen Frieden; 1795) ist Höhepunkt europäischer Friedensliteratur.

 

23. Graf Leo Tolstoi (1828-1910) war ein russischer Schriftsteller, der die Bergpredigt als Regierungsprogramm Jesu gelesen hat. Man müsse sich daran halten – und das Böse wird aufgrund seines schlechten Gewissens auf längere Sicht scheitern. Tolstoi versuchte diese Sicht auf seinem Landgut umzusetzen, kritisierte Staat und Kirche massiv. Die Gruppen, die ihm folgten, wurden vom kommunistischen System verboten. Gandhi und dann weiter Martin Luther King wurden durch Tolstoi beeinflusst.

 

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Im Grunde herrscht seit alttestamentlicher Zeit eine Auseinandersetzung zwischen Realpolitik und dem Versuch, diese durch neue Bilder/Ansätze zu ändern. Wie ist Frieden zu erreichen? Durch kontinuierliche Friedensarbeit – aber die, so Jesus Christus – kostet viel, sogar das Leben. Aber da sie dem Willen Gottes entspricht, wird sie letztlich zum Ziel führen. Vollendet wird sie aber nur durch Gott.

Es gab dann in den pazifistisch orientierten Kirchen drei Gruppen:

  1. die pietistische Gruppe, die die Vollkommenheit Christi lebte – ohne Welt-Verantwortung;
  2. die Gruppe, die wehrlos Angriffe als Nachfolge Christi erduldete;
  3. die liberal protestantische Gruppe, die Wehrlosigkeit zur aktiven Gewaltlosigkeit weiter führte (intelligente Feindesliebe).

 

Obwohl sich genannte europäische Aufklärer für Frieden aussprachen: Kriege beherrschten die Politik Europas des 17.-20. Jahrhunderts - auch in der Loslösung vom Christentum (Aufklärung, Napoleon, nationalsozialistische und kommunistische Expansionen).

 

Weiter s.: https://www.evangelische-religion.de/krieg-frieden-neuzeit.html

 

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Grundlegende Literatur:

 

  • Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt: Das Christentum zwischen Bibel und Schwert, Achendorff-Verlag Münster, 2014, Nachdruck der fünften aktualisierten Auflage 2009
  • Ines-Jacqueline Werkner und Klaus Ebeling: Handbuch Friedensethik, Springer VS, Wiesbaden 2017