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Geburtsgeschichten und Kritik

 

Weihnachten – Geschichten voller Wunder: Gott kommuniziert durch Engel mit Menschen, durch Träume, ein Stern wandert und setzt sich über einen Stall, Augustus gehorcht Gott und lässt just dann eine Volkszählung veranstalten, als Jesus in Bethlehem geboren werden musste, Zacharias verstummt, weil er zweifelte, eine Unfruchtbare bekommt ein Kind, eine Jugendliche, Maria, akzeptiert, dass sie die Mutter des Weltenretters werden wird. All das findet in er ganz bestimmten Generationenfolge (14-14-14) statt… – Die Basis des christlichen Glaubens sind Wunder. Und ob nun das alles oder zum Teil historisch verifizierbar ist oder nicht – das ist angesichts des größten der Wunder, dass Gott Mensch wird, eigentlich ein Klacks. Wir diskutieren immer wieder durch Jahrzehnte hindurch dieses und jenes: Stern, Jungfrauengeburt, Herodes, Hirten oder Weise, usw. usw. – aber das eigentliche Wunder: Gott wurde Mensch, wird nicht diskutiert.

 

Warum? Das Letztgenannte ist Glaube. Die zuvor genannten Berichte suchen nach historischer Bestätigung. Und das ist nun das Spannende: Wir finden historisch Eindeutiges, so zum Beispiel Namen und deren gesellschaftliche Stellung (Augustus, Quirinius, Herodes), wir finden Ortsangaben (Jerusalem, Bethlehem, Stadt Davids), wir finden Lokalkolorit (Hirten, Sterndeuter aus dem Osten), religiöse Angaben (Beschneidungsbrauch – und andere Kultriten), Sehnsüchte und Hoffnungen, die politisch eingeordnet werden können (Gewaltige vom Thron stürzen) und den Hinweis, dass Herodes in unmittelbaren zeitlichen Rahmen gestorben sein muss. Wir finden daneben jedoch Angaben, die bislang nicht verifiziert werden können – bis vor kurzem zweifelte man an der Existenz der Stadt Nazareth, daran, dass Jesus Nachfahre Davids war – was beides doch meines Erachtens begründet bzw. immer stärker begründet werden kann. Und Ereignisse, die wir heute anzweifeln: der Kindermord des Herodes (im Zusammenhang der Geburt Jesu), die Flucht nach Ägypten, die Geburt in Bethlehem (wobei ich nicht weiß, ob das, was die frühen Christen mit einem Bibelzitat belegen wollen, erst das Misstrauen weckt: begründet das Ereignis das Zitat oder das Zitat das Ereignis?), natürlich der Zweifel aller Zweifel: die Jungfrauengeburt.

 

So mancher stürzt sich nun nicht auf die eindeutigen Aussagen, sondern auf das Angezweifelte – das Ziel ist möglicherweise, dadurch den Glauben zu erschüttern. Denn wenn historisch der eine oder andere Punkt angezweifelt wird, dann kann es ja mit dem Glauben nicht weit her sein. Zum anderen: Es ist einfach interessant.

 

Aber: Was wir im Zusammenhang des gesamten Jesus-Ereignisses erkennen können ist: Viele Menschen haben Erfahrungen gemacht, die sie die Welt ganz neu sehen ließen. In Jesus berührt Gott die Welt. Er berührt sie in wahrstem Sinn: Seine Worte und Taten geben Hoffnung, richten auf, stärken, motivieren, verändern Menschen von Grund auf. Aus Zweifelnde werden Glaubende, Menschen, die angesichts der gewalttätigen Politik verzweifeln und resignieren, werden mutig, Neues zu wagen, Menschen, die unter die Räder der Politik geraten sind, befreien sich, werden stark und fröhlich im Kampf gegen die schlimmen Zustände, Menschen, die Angst hatten vor der Finsternis, dem Tod, dem Zufall, der Gewalt, lassen sich nicht mehr unterkriegen, sie gehen neue Wege, die andere mitreißt.

 

Und wie soll man das alles nun in Worte fassen, was da geschieht – und zwar weltweit geschieht? Wie soll man die Erfahrung der Auferstehung Jesu in Worte fassen? Wie soll man das, was er gesagt und getan hat angemessen in Worte fassen? Und so suchte und rang man danach, auch das Ereignis der Geburt des Gottes-Sohnes in Worte zu fassen. Das Ergebnis liegt in den Evangelien vor. Und das Faszinierende ist: Auch wenn man an diesem oder jenem zweifeln mag: Diese Berichte haben genau diese Wirkung, die Menschen mit Jesus verbinden: Diese Berichte lassen Menschen durchatmen. Das Dunkle ist besiegt, die politischen Gewalttäter (Herodes) sterben, und Augustus ist, als man das schrieb, auch schon lange tot – aber Jesus, der Hingerichtete – lebt! Menschen schöpfen Mut, Trost, Kraft, werden in das Licht Gottes getaucht – und werden im richtigen Sinn verstanden “göttlich”. Und das geschieht immer – denn diese Worte bieten ein Kontrastprogramm zu dem, was der Mensch auf der Erde an Schlimmem anrichtet.

 

Und was zählen angesichts dieser großartigen Wirkung noch die kleinen historischen Kritteleien? Im Grunde nichts. Das sagt einer, der gerne historisch herumkrittelt. Aber der im Grunde weiß: Das ist alles nur Menschenmachwerk – eigentlich vergeudete Zeit. Wir sollten uns statt dessen lieber in die großartige Bewegung Gottes zu den Menschen hineinnehmen lassen, statt den Herumnörgler zu spielen. Manche schaffen es, beides zu machen: Herumnörgeln und -kritteln und gleichzeitig Teil der Gottesbewegung zu sein. Denn erst durch das Herumnörgeln kapiert so mancher Mensch, der seinen Verstand nicht ausschaltet, was wir an diesen wunderbaren Geschichten in ihrer einmaligen weltweiten Wirkung wirklich haben.