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Freiheit
Aufgabe: Vorüberlegungen
1. Rollen im sozialen Miteinander
Wir Menschen sind im sozialen Miteinander verortet. Ich bin als menschliches Individuum nicht einfach so da, sondern stehe in einer Kausalkette – nicht zuletzt durch das sexuell-liebende Miteinander der Eltern. Wir sind eingebunden in Familie und in die vom Staat (Institution) vorgegebenen Voraussetzungen: Schule – Beruf. Ich bin Teil der Kultur, in die ich hineingeboren wurde. Hinzu kommen noch die Nachbarschaft, die Ortsgemeinschaft usw.
In diese vorgegebenen Strukturen sind wir eingebunden durch soziale Interaktionen:
Darüber hinaus gibt es weitere soziale Rollen, in die wir uns freiwillig einbinden: Hobby, gesellschaftspolitische Aufgaben:
Was bedeutet das zum Thema Freiheit? Wir sind sozial eingebunden: unfreiwillig und freiwillig, manchmal merken wir es, manchmal bemerken wir es gar nicht. Wir sind eingebunden, haben aber in dieser Gebundenheit Freiheiten.
Wir spielen in diesen jeweiligen Bereichen unsere Rollen als die Menschen, die wir sind, mit unserem Charakter, unseren körperlichen Vorgaben, den allgemeinen Vorlieben, der Erziehung.
Was bedeutet das für das Thema Freiheit? Wir prägen diese Rollen – diese Rollen prägen uns.
2. Willensfreiheit und Handlungsfreiheit
Es wird in der Philosophie unterschieden zwischen Willensfreiheit und Handlungsfreiheit.
a) Willensfreiheit: Hierin geht es darum, dass man wollen kann, was man will. Warum will ich, was ich will? Ist das in irgendeiner Form vorgegeben, determiniert? Ist das nicht vorgegeben, indeterminiert?
Determination wird aus unterschiedlichen Perspektiven dargelegt:
theologisch: Gott lenkt alles ("der Mensch denkt, Gott lenkt");
philosophisch: Jedes Handeln ist durch vorangehende Handlungen begründet;
wissenschaftlich: alles ist berechenbar (Naturgesetze). Das alles determiniert sei, ist aus naturwissenschaftlicher Sicht nicht mehr haltbar, seit die Quantentheorie erstellt wurde.
Fazit: Man kommt immer weiter weg von der Gegenüberstellung: der Wille ist unfrei – der Wille ist frei. Man sieht: Mein Wille wird von einer Unmenge an (unbewussten) Komponenten geprägt – gleichzeitig prägt mein reflektierender Wille Körper wie Gehirn. Wenn der Mensch gänzlich determiniert wäre, könnte er nicht für Taten verantwortlich gemacht werden: Er musste es tun. Doch wir wissen, dass das Menschsein sich eben dadurch auszeichnet, dass der Mensch anders als das Tier Verantwortung tragen kann, weil er reflektierend seinen Willen prägen kann.
b) Handlungsfreiheit: Tun können, was man will, als Individuum, als Gemeinschaft.
Auch hier stellen sich durch die Philosophie einige Fragen:
Es ist zu unterscheiden zwischen frei sein von… (auch negative Freiheit genannt) und frei sein zu… (auch positive Freiheit genannt).
Beide sind wieder zu untergliedern in
o negative äußere Freiheit = frei von… aus sozialer Sicht, also frei von äußeren Zwängen,
o negative innere Freiheit = frei von… individuellen, inneren Zwängen
o positive äußere Freiheit = frei zu… aus sozialer Sicht, also individuell/gemeinschaftlich Ziele setzen
o positive innere Freiheit = frei zu… als Individuum autonome Ziele setzen
Im Wesentlichen ist die Realisierung dessen, was man will und tut, zunächst einmal gebunden an Charakter, Körper, Erziehung… Diese und andere Aspekte einbeziehend, kann man seine "Freiheit von…" dazu verwenden, seinem Leben ein Ziel zu setzen – und: man ist frei dazu, den Lebensentwurf zu verwirklichen. Das „Frei zu...“ ist freilich ein großes Problem für viele Menschen. Der Soziologe Ulrich Beck hat herausgearbeitet, dass der Mensch heute von vielem frei ist, aber unter der Last, frei zu sein, leidet, weil er nicht weiß, wie er das „Freisein zu“ füllen kann. Das kann unterschiedliche Folgen haben: Hinwendung zu Drogen, zu ideologischen Gruppen (Nationalsozialismus, Kommunismus, religiöse Sondergruppen/Sekten, Islamisten, Liberalismus), die vorschreiben, was man tun muss, oder es führt dazu, sich in Arbeit zu stürzen, weil Vorgesetzte/der Markt sagen, was zu tun ist usw. Der Mensch fühlt sich „zur Freiheit verurteilt“ (Albert Camus).
Freiheit und Verantwortung tragen hängen sehr eng zusammen. Wenn ich mein Leben frei gestalten kann, dann trage ich auch Verantwortung dafür. Und wenn ich meine Vergangenheit reflektiere und Unfreiheiten, die mich prägten, entdecke, dann trage ich selbst Verantwortung dafür, mich von ihnen zu befreien. Das ist nur in gewissem Rahmen möglich (manchmal mit Hilfe der Psychologie, der Seelsorge), aber die Freiheit, sich befreiend zu verwirklichen, muss so gut es geht realisiert werden, damit ich mich als freier Mensch erweise. Resignation und Festhalten an alten Fesseln zeugt nicht von der Freiheit eines Menschen.
3. Freiheit im Alten Testament und Neuen Testament
Für das Judentum spielt die Freiheit eine sehr große Rolle: Es ist die politische Freiheit, die Befreiung von der Sklaverei (Exodus). Und diese Befreiung führt zu dem Bundesschluss Gottes mit dem Volk Israel. Mit ihm ist Verantwortung verbunden, denn als Rahmen für die Freiheit bekommt das Volk die 10 Gebote, sodass es in seiner Freiheit den Mitmenschen nicht verletzt. Freilich kann es in seiner Freiheit diesen Rahmen auch übertreten, verhält sich jedoch entsprechend asozial.
Und die Schöpfungsgeschichten berichten, dass Gott den Menschen als freies Wesen geschaffen hat – selbst frei davon, Gottes Willen zu tun (Genesis 1ff.; der Mensch benennt alle Dinge mit Namen, er ist Statthalter Gottes, er wird ermahnt, nicht von den Bäumen zu essen – Grundlagen der Freiheit). Der Grund der Freiheit des Menschen, den hat Gott gelegt. Der Anstoß, die Freiheit zu missbrauchen, kam dadurch, dass Gottes Güte in Frage gestellt wurde: Gott will mich Menschen klein halten. Warum demütigt Gott mich? (Genesis 2) Die Theodizee-Frage kommt in den Blick. Ich traue Gott Schlimmes zu. Er nimmt mir meine Freiheit.
Jesus Christus hat den Samen für das Freiheitsbewusstsein im Neuen Testament gelegt. Der Mensch, der unfrei ist durch Krankheit, Behinderung, versklavende Mächte und Gesetz, dessen Würde muss durch Befreiung wieder hergestellt werden. Und sie wird wieder hergestellt durch die Wundertaten Jesu, die zeigen, dass Gott den Menschen frei haben möchte, wieder hergestellt durch die Zuwendung Jesu, die Aufnahme in die Gemeinschaft der Kinder Gottes, die Vergebung der Schuld, die den Menschen knechtet, ihn an seine Vergangenheit fesselt, aber auch an andere Menschen. Die Erwartung des Reiches Gottes befreit den Menschen dazu, nicht in der fesselnden Gegenwart zu verharren, sondern angetrieben von dieser Hoffnung, die Welt jetzt schon im Sinne Gottes zu verändern. Jesus hat seine Jünger von der Angst vor Menschen befreit, denn die Jünger müssen in der Durchsetzung des liebenden Gotteswillens weder Verfolgung noch Tod fürchten, da sie in die Herrlichkeit Gottes eingehen werden.
Für das Neue Testament ist in dieser Hinsicht vor allem auch Paulus zu nennen, weil er das Thema Freiheit intensiv durchdacht hat. Er greift diesen Aspekt „Freiheit“ auf, sieht jedoch die Sklavenhalter nicht in Menschen, sondern in den drei Größen: Sünde – Gesetz – Tod. Diese drei versklaven den Menschen. Die Sünde (Freud würde es die Triebe nennen) lassen den Menschen Handlungen begehen, die er gar nicht tun will. Das Gesetz (Freud würde es das Über-Ich nennen) zwingt den Menschen, etwas zu tun, was er gar nicht leisten kann. Und darum ist er ständig zwischen den Forderungen des Gesetzes und der Sünde hin und her gerissen – kurz: Er ist unfrei. Was befreit ihn nun? Und da weicht dann Freud von Paulus ab. Für Freud ist es der Verstandesoptimismus, der ihn auf den Verstand setzen lässt (freilich konnte er auch sagen: Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus). Paulus sieht die Befreiung durch Jesus Christus gegeben, denn der Verstand ist abhängig von dem in sich selbst unfreien Menschen (vgl. Hume). Und so finden wir die Ansätze modernster Auffassung schon beim Apostel Paulus: Erst wenn Gott den Menschen neu macht, dann ist auch das, was im Hintergrund des Gehirns abläuft, neu. Weil der Mensch sich selbst nicht ganz in der Hand hat, muss Gott ihn in die Hand nehmen und nach seinem Willen verändern. Der Mensch trägt das Seine natürlich dazu bei, indem er sich verändern lassen will. Zuletzt kommt bei Paulus noch die Freiheit vom Tod dazu. Der Mensch muss keine Angst mehr haben vor dem Sterben, somit ist diese Angst kein handlungsleitendes Motiv mehr. Nicht den Tod müssen Glaubende fürchten und entsprechend abhängig von der Furcht handeln. Der Mensch kann gelassen sein, denn, wie Paulus schreibt: Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn (Römerbrief 14,8). Jesus Christus ist die Kontinuität im Leben und Sterben. Gleichzeitig ist die Freiheit des Christen nur durch seine Gebundenheit an Gott erfahrbar. Wer von Sünde frei ist, tut Gottes Willen. Wer vom Gesetz frei ist, handelt menschlich aus freien Stücken, also nicht gezwungen. Und wer vom Tod frei ist, handelt ohne Angst. Christen sind, so Paulus, auch frei von den Vorgaben der jeweiligen Gesellschaft – eben dann, wenn sie Gottes Willen widerspricht. Der Mensch als ganzer ist frei von seiner Vergangenheit: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden! (2. Korinther 5,17) Als "Magna Charta" der Freiheit wird vielfach der Brief des Paulus an die Galater bezeichnet. Und der jamaikanische Soziologe Orlando Patterson, der sich intensiv über das Thema Freiheit Gedanken machte, meinte, dass der christliche Glaube die einzige Weltrelgion sei, "die zum höchsten religiösen Ziel die Freiheit erklärte."
Aufgabe
Die Gemeinden in Galatien, die Paulus gegründet hatte, fühlten sich von der Freiheit des christlichen Glaubens überfordert und wollten wieder zurück zum jüdischen Gesetz, das das gesamte Leben regelte. Wie Paulus mit diesem Wunsch umgeht, können wir im Galaterbrief lesen.
Was wir bei Hume kennengelernt haben, finden wir schon bei Luther. Luther sah, dass der Kopf vom Bauch bestimmt wird – also die Vernunft vom Trieb. Und er hätte auch manches gegen Freud einzuwenden bzw. gegen Kant: Er ist nicht so optimistisch, was die Vernunft betrifft. Das, was bei Luther jedoch wesentlich ist, er hat eine Schrift geschrieben: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520). In dieser lautet das Motto: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ Beides gleichzeitig. Der Christ als derjenige, der Gott gehört, entscheidet sich frei – ist also Herr. Er entscheidet sich aber frei dazu, anderen Menschen zu dienen, ist also Diener.
4. Christentum der Gegenwart
Das politische Wirken der Kirche Europas ist davon geprägt, gegen Unrechtssysteme anzugehen, die Willensfreiheit (wie auch immer sie definiert wird) und Handlungsfreiheit einschränken, zu bekämpfen. Jeder Mensch hat Würde. Kein Mensch hat das Recht, andere Menschen zu beherrschen, ihn, wie Kant sagt, als Mittel anzusehen.
Darin erschöpft sich nicht das Handeln der Christen, sondern sie stehen in der Tradition des Neuen Testaments, in der Tradition Jesu Christi und des Apostels Paulus wie sie oben dargestellt wurden.
Aufgabe
Was denkst Du darüber?
Der Theologe Helmut Thielicke schrieb in seiner Rede über die Weiße Rose (Von der Freiheit ein Mensch zu sein, 1963. 27) (siehe: https://evangelische-religion.de/theodizee-sophie-scholl.html )
"Freiheit kann nicht in der Preisgabe aller Bindungen gelebt werden - dann wird sie vielmehr zerstörerisch -, sondern sie ist selbst nur eine besondere Gestalt der Bindung. Darum findet auch nur der sich selbst, der Gott findet", da dadurch kein Mensch und keine Situation Herr ist über den an Gott Gebundenen. Er ist frei. Zu dieser "Quelle der Freiheit" haben die Mitglieder der Weißen Rose gefunden. Aus dieser Quelle (Gott) lebt auch unsere Freiheit "auch wenn sie für viele verschüttet" ist.