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Juden in Deutschland

 

Einleitung

Das Thema ist sehr komplex. Das zeigt schon allein der Titel: Juden in Deutschland - denn Deutschland gab es so, wie wir es heute kennen, im Mittelalter noch gar nicht. Und in dem Bereich, den wir heute als Deutschland bezeichnen, gab es unterschiedliche Herrschaftssysteme, lokale Besonderheiten, bis hin zu Kleinstaatereien. Von daher kann das Thema nur angerissen dargelegt werden. Der Duktus dieser Darlegung: Antisemitismus/Antijudaismus sind zu trennen, haben aber gemeinsam zu den Auswüchsen im Nationalsozialismus beigetragen - und die Wurzeln der anti-jüdischen Argumentation reichen eben weit in unsere Geschichte zurück.

 

1.

Mittelalter

 

Ansiedlung:

Juden gibt es seit der Antike im deutschsprachigen Raum. Jüdische Kaufleute siedelten sich in Städte an. Sie wurden auch geduldet, weil sie aufgrund ihrer Verbindungen Erfahrungen mit dem internationalen Handel hatten. Die Handelsbeziehungen von Juden führten dazu, dass Städte reicher wurden.

 

Rechtsordnung:

Juden wurde freier Handel zugesichert. Wegegelder/Zoll wurde ihnen erlassen. Ebenso mussten sie auch keine Kriege unterstützen. Im 11. Jahrhundert durften sie Geld wechseln, bekamen eigene Gerichtsbarkeit, waren aber dem Herrscher unterstellt. Es war verboten, Juden zwangszutaufen. Weil Juden unter dem Schutz des Herrschers standen, mussten sie Abgaben zahlen. Weil Herrscher ab dem 13. Jahrhundert von Christen nicht mehr viel einkassieren konnten, wurden Abgaben bei den Juden erhöht.

 

Gesellschaftliche Stellung:

Keine allgemeine Diskriminierung von Juden. Sie bekamen bevorzugte Wohnviertel, um ihren Glauben leben zu können - was den Nachteil hatte, dass Ghettos gebildet wurden. Sie hatten auch die Erlaubnis, Waffen zu tragen. Im 12. Jahrhundert wurde das Tragen von Waffen den Priestern und Juden untersagt, weil sie unter dem Schutz des Herrschers standen. Juden bekamen ein hohes Ansehen und nahmen häufig gesellschaftlich höhere Positionen ein. Als jedoch das städtische Bürgertum immer mächtiger wurde, wurden Juden als Konkurrenten zurückgedrängt. Weil Juden keine Christen wurden, war ihre Stellung immer sehr von den jeweiligen Situationen abhängig. Zur Passionszeit wurden immer wieder Übergriffe verübt (Passionsspiele). Vorwurf: Christusmörder zu sein.

 

Übergriffe:

Im 11. Jahrhundert gab es immer wieder massive Übergriffe gegen Juden, obgleich Kaiser und Bischöfe als Schutzherren gegen diese eingeschritten sind. Aber je nach Bürgertum der Städte konnten sie nicht viel ausrichten. Das Bürgertum in Speyer schützte zum Beispiel Juden, während in Worms ca. 800 Juden ermordet wurden. Unsicherheit und Willkür waren ein großes Problem.

 

2.

16.-19. Jahrhundert

 

16.-17. Jahrhundert

Martin Luther sprach zunächst freundlich über Juden, weil Jesus selbst Jude war. Er versuchte durch die Reformation der Katholischen Kirche auch Juden vom christlichen Glauben zu überzeugen. Im Alter wandte er sich radikal gegen Juden, weil sie trotz der Erneuerung der Kirche nicht Christen geworden sind. Darum rief er dazu auf, sie barbarisch zu strafen. Kaiser Karl V. hat angesichts von Übergriffen gegen Juden 1544 das so genannte Speyrer Judenprivileg erlassen, das Juden umfassenden Schutz gewähren sollte. Gegenüber dem Mittelalter hat sich wenig verändert. Juden, die aus den jeweiligen Städten/Staaten vertrieben waren, kehrten zurück, durften sich jedoch nur mit Erlaubnis der Fürsten bzw. Städte ansiedeln. Sie waren Viehhändler, Hausierer, Geldwechsler. Ihre Steuern wurden benötigt. Vor allem ab dem 30jährigen Krieg gab es eine jüdische Oberschicht, die so genannten Hofjuden, die die jeweiligen Fürsten finanziell unterstützten - unterstützen mussten - bzw. als Berater, Diplomaten usw. am absolutistischen Hof tätig waren. Diese waren freier als die Juden, die nicht als Hofjuden wirkten. Sie waren Sprecher ihrer Gemeinden und konnten ihnen durch Kontakte zu den Fürsten Vorteile verschaffen. Wenn sie in Ungnade gefallen sind, hatte das negative Auswirkungen auch auf ihre Gemeinden. Das Zusammenleben der Bevölkerung regelten Judenordnungen der einzelnen Fürsten und Städte.

 

18.-19. Jahrhundert

Juden hatten unter der Intoleranz der Bevölkerung zu leiden und setzten sich, als es ihnen möglich war, für eine tolerante Gesellschaft ein. In Frankreich haben Juden mit der Revolution von 1791 gleiche Rechte bekommen. In den deutschen Staaten hat es noch ca. 80 Jahre gedauert bis es soweit war. Dennoch hat das Bestreben der liberalen Juden, an der Bildung wie an gesellschaftspolitischen Prozessen teilzuhaben, Wirkung gezeigt. Sie gehörten zum Teil mit zur Bildungsschicht, zur sozialen Elite. Es gab ein hartes Ringen zwischen denen, die Juden gleiche Rechte wie anderen zukommen lassen wollten, und denen, die es zu verhindern suchten. An zahlreichen Orten fanden Übergriffe, Verfolgungen, Misshandlungen, Morde statt (Hep(p), hep(p)-Aufstände). Die Argumentation wechselte: aus dem religiösen Antijudaismus wurde in der Neuzeit rassischer Antisemitismus: Juden wurden nicht mehr wegen ihres Glaubens angefeindet, sondern wegen ihrer Rasse - eine Sicht, die im 19. Jahrhundert immer weitere Verbreitung fand und im 20. Jahrhundert vom Nationalsozialismus aufgegriffen wurde und zur Vernichtung von Juden unvorstellbaren Ausmaßes führte.

 

Besonders hervorzuheben ist Moses Mendelssohn (1729-1786). Lessing hat ihn in "Nathan der Weise" widergespiegelt. Vielfach kulturell gebildet schrieb er zahlreiche Werke, förderte die Bildung der Juden und führte sie an ihre Umwelt heran. Sein Ziel war die gesellschaftliche Gleichstellung der Juden im Staat. Die geistige und soziale Isolation sollte durchbrochen werden - dafür setzten sich auch weitere Intellektuelle ein.

 

Berühmte deutsche Juden

Bekannte (zum Teil getaufte) Juden aus diesen Jahrhunderten sind:

- der sehr einflussreiche Philosoph Baruch Spinoza (1632-1677)

- der Sozialpolitiker Ferdinand Lassalle (1825-1864)

- der Historiker Heinrich Graetz (1817-1891)

- der bewundernswerte Dichter Heinrich Heine (1797-1856)

- einer der größten deutschen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847)

- der Sozialphilosoph Karl Marx (1818-1883)

- die Schriftstellerin Rahel Varnhagen (1771-1833), die sich intensiv für die Aufklärung und die Emanzipation der Frauen einsetzte.

 

 

3.

20. Jahrhundert

 

Antisemitismus/Antijudaismus

Gründe für Judenverfolgungen sind vielfältig: Dahinter stehen soziale Probleme, soziopsychologische Probleme (zum Beispiel: Sie passen sich nicht an, ihnen geht es besser als uns...), Probleme der Religion (sie sind keine Christen) - hinzu kamen rassische Ideologien: Sie gehören nicht zur Rasse der Bevölkerungsmehrheit. Antijudaismus wird die Ablehnung von Juden aus religiösen Gründen genannt und Antisemitismus aus rassischen Gründen.

Das, was sich im 19. Jahrhundert abzeichnete, verschärfte sich. Im Zuge der sozialen Probleme, die die aufkommende Industrialisierung mit sich brachte, wurde ein Sündenbock gesucht - und viele fanden ihn in Juden.

Immer mehr Gruppen entstanden, die sich gegen Juden wandten. Juden würden Germanen verarmen lassen, hätten das Ziel, die Herrschaft zu übernehmen, sie würden die nationale Stärke Deutschlands untergraben - dazu wurde das Bild von Juden gemalt, das sie als sehr grausame Menschen darstellte. Juden durften nicht mehr an Veranstaltungen teilnehmen, wurden aus Gruppen ausgeschlossen, es gab europäische Antisemiten-Kongresse.

Neben diesen Angriffen auf Juden lief eine Kampagne zur Betonung der Nation und des Germanentums. Das spitzte sich alles bis zu den Jahren des Nationalsozialismus zu.

Auch in Russland kam es zu Judenverfolgungen, weil Juden für die Ermordung des Zaren (1881) verantwortlich gemacht wurden. Auch sonst kam es zu Verfolgungen.

 

Nationalsozialismus

Hitler setzte sich in der später so genannten NSDAP durch. Er stand in den antisemitischen Strömungen seiner Zeit, sah in den Juden alles Unglück und meinte, wenn die Juden ausgeschaltet würden, würde Deutschland wieder groß werden. Als er dann 1933 an die Macht gekommen war, versuchte er sein einfach gestricktes Weltbild politisch umzusetzen. Wenige Jahre später wurden die Nürnberger (Rasse-)Gesetze in Kraft gesetzt (1935): Deutsches Blut sollte von jüdischem Blut reingehalten werden. Nur Menschen mit deutschem oder artverwandtem Blut konnten Staatsangehörige werden. Juden wurden auf allen Ebenen des Staates Entehrungen ausgesetzt. In der vierten Phase der Konzentrationslager (1942-1945) wurden mehrere Millionen Juden ermordet. (Vorher wurden politische und weltanschauliche Gegner, Menschen, die nicht zum "Volkskörper" passten, Vorbestrafte, Zeugen Jehovas, Polen, Russen, unbeugsame Christen in die Lager gebracht.) Judenchristen kamen immer stärker unter Druck, wie auch die Christen, die am Alten Testament und an den jüdischen Wurzeln des Christentums festgehalten haben. Daran haben vor allem Christen festgehalten, die der Bekennenden Kirche zugeordnet werden. Diejenigen, die der Juden feindlichen Ideologie Hitlers folgten, werden Deutsche Christen genannt.

 

Zionismus

Angesichts der Judenverfolgungen in Europa verstummte nie der Wunsch, einen eigenen Staat zu errichten. Theodor Herzl war der Initiator der Zionistischen Weltorganisation.

Das, was Palästina genannt wird, gehörte erst den Osmanen (Türken), wurde ihnen 1917 von England mit Hilfe der Araber, die nicht unter der Herrschaft der Türken leben wollten, abgenommen. Engländer versprachen Juden und Arabern /Palästinensern das Land. Immer mehr Juden wanderten nach Palästina aus. Es gab zahlreiche blutige Ausschreitungen der alteingesessenen Einwohner. Angesichts der Eskalation verboten Engländer weiteren Zuzug von Juden trotz der schlimmen Situation in Europa. Doch Juden wollten in einem sicheren Staat leben. 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen - und arabische Armeen griffen Israel an, wurden jedoch zurückgeschlagen. Palästina wurde aufgeteilt: In dem einen Teil wohnen Palästinenser (Jordanien) - im anderen Teil begannen Juden die Oberhand zu gewinnen. Jordanien weigerte sich, so viele Palästinenser aufzunehmen, weil das eigene Land dadurch destabilisiert werden würde. Folge: Palästinenser leben seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern. Aus ihnen holen Palästinenserorganisationen immer wieder Nachschub, um Israel anzugreifen. Hinzu kommt, dass der Islam Anspruch auf Jerusalem erhebt, weil Mohammed in einer Vision vom Tempelberg aus in den Himmel gestiegen sei. Darum steht heute die "Moschee" auf der Stelle, an der Juden ihren Tempel hatten.

Gruppen, die sich gegenwärtig gegen Israel wenden, werden immer stärker nicht nur anti-israelitisch, sondern auch antijüdisch. Sie stellen sich auf die Seite der muslimischen Palästinenser - nicht nur politisch, sondern auch, indem alte Ressentiments gegen Juden wieder öffentlich laut werden. Unter Druck geraten die christlichen Palästinenser.

 

Christen und Juden

Christen wandten sich immer wieder im Laufe der Geschichte gegen Juden. In der Zeit des Nationalsozialismus wandten sich viele den so genannten "Deutschen Christen" zu. Hitler, der selbst nichts vom christlichen Glauben hielt, wollte als Realpolitiker mit Hilfe der Deutschen Christen die Evangelische Kirche zu eine Art Organisation seiner Partei machen. Gegen die Deutschen Christen, die eine Landeskirche nach der anderen übernommen hatten, wandte sich die "Bekennende Kirche". Sie setzte sich gegen die Trennung von Juden ein - aber auch nur am Rande, weil sie selbst erst einmal ums Überleben kämpfen musste. Die Auseinandersetzungen zwischen beiden Gruppen waren sehr massiv - wurden dann aber aufgrund des Krieges zurückgestellt.

Einige Jahre nach dem Krieg wurde den Christen bewusst, wie schlimm sie im Laufe der Kirchengeschichte an Juden gehandelt haben. Und es begann ein großes Umdenken: Der so genannte Jüdisch-Christliche Dialog begann. Im Zusammenhang dieses Dialogs wurde schonungslos alles aufgearbeitet, was es an Schlimmem in der Geschichte gab. Und nun versucht man gemeinsam weiterzugehen. Dazu siehe vor allem: http://www.ekir.de/www/ueber-uns/meilensteine-der-erneuerung-13874.php Die Erinnerung an die große Schuld vieler Christen (oder die Schuld der Kirche?) in der Geschichte sollte dazu führen, Versöhnungsarbeit zu leisten, um miteinander die Aufgaben der Zukunft bewältigen zu können.