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Menschenbilder der Neuzeit und das Menschenbild der Bergpredigt
In der Neuzeit werden unterschiedlichste Menschenbilder vertreten.
Philosophen aus dem 18./19. Jahrhundert:
D´Holbach meint, der Mensch sei nur Teil der Natur, nichts Besonderes – und sein Wunsch nach ewigem Leben bzw. unsterblicher Seele sei ebenso nur Teil der Natur.
Bergpredigt: Der Mensch ist mehr als Teil der Natur, weil er von Gott groß gemacht wird (Seligpreisungen: Mt 5,1ff.) – hier wird jüdische Tradition deutlich: der Mensch ist Ebenbild Gottes.
Feuerbach meint, dass der Mensch dem Menschen Gott sei – und das höchste Gesetz sei die Liebe zum Menschen.
Diesen Aspekt hat er von Jesus – dem Doppelgebot der Liebe: Liebe Gott – und gleichwertig: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Feuerbach lässt den ersten Teil weg, versucht somit die christliche Ethik zu säkularisieren.
Hobbes sieht: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – darum gibt es Gesetze, um den Menschen in seiner Bösartigkeit einzuschränken.
Bergpredigt: Der Mensch kann sich verändern. Er kann Verantwortung tragen, indem er die Gebote Gottes hält. Er kann lieben – Jesus Christus traut es ihm zu (Goldene Regel, Antithese: Feindesliebe usw.).
Marx sieht den Menschen aufgrund des Privateigentums als ein von sich selbst entfremdetes Wesen. Darum müsse Privateigentum abgeschafft werden.
Bergpredigt: Im Reich Gottes wird es kein Privateigentum geben. Der Mensch soll teilen. Er kann es aber nur aufgrund seines Gottvertrauens. (Mt 6,24ff.)
Nietzsche träumt davon, dass der Mensch sich über sein äffisches Wesen erhebt – wie er sich über die Schwachen erheben muss.
Bergpredigt: Der Mensch ist groß, wenn er sich Gottes Willen gemäß dem Menschen zuwendet. (Mt 6,16ff.)
Philosophen aus dem 20. Jahrhundert:
Gehlen sieht, dass der Mensch biologisch ein Mängelwesen ist und Plessner betont den Zusammenhang von Körper und Psyche (Warum weint der Mensch aus Reue und lacht nicht? Warum lacht der Mensch über einen Witz und weint nicht?)
Bergpredigt: Jesus geht es nicht um den Menschen als Körper, ihm ist es wichtig, dass der Mensch aufgrund seiner Argumentation einsieht, sich gegen den anderen Menschen und gegen Gott zu vergehen. Es geht um ethische Mängel – und daraus folgen eben auch verstandesmäßige Mängel. Wer nachdenkt, Welt beobachtet, der erkennt, dass er sich falsch verhält. Darum argumentiert Jesus auch in weisheitlicher Tradition. (Bergpredigt z.B. 5,20ff.)
Monod ist der Einsame unter den Philosophen – zumindest sieht er den Menschen als Zufallsprodukt, den Menschen in seiner Einsamkeit.
Bergpredigt: Es geht um die Gemeinschaft der Mensch. Gott will Gemeinschaft. Die Einsamkeit ist selbst verschuldete Einsamkeit.
Jaspers fasst im Grunde die Philosophen zusammen, indem er sagt: Der Mensch kann sich selbst nicht begreifen. Der Mensch ist nicht starr, er stagniert nicht. Er ist immer in Bewegung. Er will über sich hinaus kommen, hinausgehen. Das heißt, der Transzendenzbezug wird betont.
Bergpredigt: Der Mensch soll über sich hinausgehen. Er soll nicht in seinen unsozialen Verhaltensweisen verharren. Er soll Gottes Willen tun – damit er ein soziales Wesen wird.
Das Menschenbild, das die Bergpredigt erkennen lässt
Der Mensch verhält sich unsozial. Gemeinschaft kann nicht wachsen. Gottes Wille ist Gemeinschaft – und sie gibt Regeln für das gemeinschaftliche Zusammenleben, Regeln, damit Gemeinschaft gelingen kann. Dazu ist jedoch die Beziehung zu Gott wichtig:
Intelligente Feindesliebe
Carl Friedrich von Weizsäcker (Der Garten des Menschlichen, 1977) hebt die Bergpredigt hervor, weil sie vom Verstand nachvollziehbar ist. Auch der Kategorische Imperativ von Kant („Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“) ist mit dem Verstand nachvollziehbar, darum ist er gültig. Wie die Bergpredigt auch.
Der gute Wille ist Bedingung für ein gutes Zusammenleben
Der verinnerlichte Imperativ ist notwendig (Gewissen), denn er verdeutlicht immer wieder die Spannung zur Realität. Man erkennt seine Schuld (= die genannte Spannung) und reift auf diese Weise zu einer sozialen Persönlichkeit heran.
Die fordernde Moral - die nicht verinnerlicht wurde - ist tödlich. Die Bergpredigt hingegen ist eine lebendig machende Forderung, weil dem Imperativ der Indikativ vorangeht. Den Forderungen wird vorangestellt: Selig bist du, wenn du Frieden machst, dann wirst du Gottes Kind heißen. Das heißt die Formulierung im Futur (dann wirst du Gottes Kind heißen) gibt die Gegenwart wieder, wenn man entsprechend handelt (Selig bist du, wenn du Frieden machst)v– das heißt: diejenigen, die selig gepriesen werden, haben es ja in der Vergangenheit schon so gemacht, also sind sei schon Gottes Kind.
Es gibt auch Stimmen aus der Politik, die eine Relevanz der Bergpredigt für die konkrete Politik nicht erkennen können. Dazu gehören Bismarck und Helmut Schmidt. Hingegen sehen Mahatma Gandhi und Martin Luther King die Bergpredigt als Welt verändernde Wegweisung für das Miteinander der Menschen an.
Weizsäcker prägte den Begriff der "intelligenten" Feindesliebe. Das bedeutet, dass der Mensch sich nicht einfach ermorden lässt, sich dem Feind unterwirft, sondern Wege sucht, den Feind als Feind zu überwinden. Gandhi und King haben die Feindesliebe auf diese Weise interpretiert - aber auch Jesus hat sie so verstanden. Denn die rechte Wange hinhalten bzw. eine weitere Meile gehen, sind Provokationen, die das Gegenüber durch Überraschungen zum Nachdenken anregen soll. (Das ist gegenwärtig auch im Gespräch: Man muss Angreifern überraschend begegnen - also nicht so, wie sie es erwarten. Die Überraschung macht sie stutzig - und dieser Augenblick kann dazu beitragen, dass ich als Angegriffener eine neue Taktik ausdenken kann, falls der Angreifer durch dieses Überraschungsmoment nicht gehemmt wird, seine Aggressionen auszuführen.)
Heute spricht man auch von Verantwortungspazifismus. Das bedeutet, dass man als Pazifist nicht einfach seine Mitmenschen den Gewalttätern ausliefern darf, sondern verantwortlich Wege sucht, Menschen den Gewalttätern zu entziehen. Und das eben nicht auf militärische Art und Weise, sondern auf eine neue, die von der jeweiligen Situation abhängig ist.