Angelus Silesius / Johannes Scheffler (1624-1677)

Seine Epigramme haben eine weite Verbreitung gefunden und sie enthalten in seinem „Cherubinischer Wandersmann“ starke mystische Ansätze – allerdings eine Mystik, die vielfach Gott und Mensch ineinander verschwimmen lässt – faszinierende Sätze, weil sie schon das kommende Denken ahnen lassen (Feuerbach, Nietzsche)(zitiert aus Kemp):

Gott mag nicht ohne mich ein einzigs Würmlein machen: / Erhalt ichs nicht mit ihm, so muß es straks zerkrachen.

Ich selbst muß Sonne sein, ich muß mit meinen Strahlen / das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.

Die Mystik war es, die ihn dazu brachte, vom Protestantismus zur katholischen Kirche überzutreten. Die Protestanten würden die Vernunft vergöttern. Sein scharfer Kampf gegen die Protestanten verhinderte nicht die Aufnahme mancher Lieder in Evangelische Gesangbücher. Die Lieder atmen stärker traditionellen Geist als seine Sinnsprüche: Mir nach, spricht Christus, unser Held (385), Ich will dich lieben, meine Stärke (400), Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht (401), Gott, weil er groß ist (411). Weitere gab es im Gesangbuch von 1878: O du Liebe meiner Liebe (63), Tritt her, o Seel, und dank dem Herrn – für die Schöpfung (137) – und andere, eher traditionelle Texte (272, 446, 482). In dem Gesangbuch von 1834 [?] wird auch das Lied Herzallerliebster Gott wird ihm zugeschrieben. In der 5. Strophe heißt es: „Entflamme du mein Herz / mit einer reinen Liebe, / die ich sowohl an dir, /als an dem Nächsten übe.“

Liebe spielt, wie an den Anfangszeilen der Lieder schon ersichtlich, eine große Rolle. Wie in der Mystik, die Liebe der Seele zu Gott. Liebe überschreitet die Grenze – die Grenze zwischen Mensch und Gott wird überschritten.

Daniel von Czepko (1605-1660)

War der Spiritus Rector von Angelus Silesius. Die Sinnsprüche sind ebenfalls dieser mystischen Art (zitiert aus Kemp):

Was suchst du Gott? Gott ist dir inniger als du / Daß du dich suchst, deckt Gott – drum findst du ihn nicht – zu.

Gott mußt du gleiche sein, willst du Gott recht erkennen; / Was Gott nicht ist, das muß zugrunde dir verbrennen.

Friedrich von Logau (1605-1655)

War ebenfalls Vorläufer von Angelus Silesius. Diese Epigramme sind allerdings weniger mystisch. Nur eines sei zitiert (Zitiert aus Hederer): „Der Hammer, Gottes Wort, schlägt auf des Herzens Stein; / Jetzt aber will der Stein des Hammers Hammer sein.“

Catharina Regina von Greiffenberg (1633-1694)

Sie besingt diese große Liebe Gottes („Du Brunn der wahren Lieb“ in: „Auf die Tränen“) angesichts des Nichts des Menschen („Ich bin ein Nichts, aus Nichts“, in: „Über Gottes gnädige Vorsorge“), aber dieses Nichts verspürt große Schmerzen, darum „Halt Gottes Willen still! Bricht schon das Herz vor Schmerz“ (in: „In äußerster Widerwärtigkeit“). Sie bittet um Weisheit, „Der schöne Seelen-Schatz pflegt überall zu funkeln“. Sie bittet um Nachtruhe: „Und du meiner Ruhe Ruh / Herzen-Herrscher, komm herzu, / sei du selbst mein Schlafgemach: / gib, daß ich dir schlafend wach.“ (zitiert nach Kemp) Im Gott lobenden Frühlingslied sieht sie Gottes Schönheit aus den Blumen blicken und Gottes Süße schwingt sich aus den Früchten in den Mund – denn alles, was zu sehen ist, ist Gottes Ebenbild. Im Wiesen-Liedlein besingt sie jede Blumenfarbe – und verbindet sie mit dem Glauben. (Weitere Gedichte: https://www.zgedichte.de/gedichte/catharina-regina-von-greiffenberg.html und eine weitere Fülle, die auch ihre Experimentierfreude zeigt: http://www.zeno.org/Literatur/M/Greiffenberg,+Catharina+Regina+von/Gedichte/Geistliche+Sonnette,+Lieder+und+Gedichte

Biographisch ist zu sagen, dass auch ihr Leben schwer war. Wohlhabend geboren, gut ausgebildet, dann aber aufgrund der konfessionellen Auseinandersetzungen, der – soweit ich das sehe – erzwungenen Heirat und intrigantem Spiel derer, die die Burg in ihren Besitzen bringen wollten, in die Armut getrieben. Verarmt siedelte sie mit ihrer Mutter nach Nürnberg. Dort lebte Sigmund von Birken, den sie gut kannte und der sie unterstützte.

Bei Catharina Regina von Greiffenberg wird die Grenze durch die Natur-Mystik aufgehoben: Wie im Abendmahl Jesus Christus in Brot und wein anwesend ist, so der Schöpfer in den Gaben der Natur.

Joachim Neander (1650-1680)

Berühmter als Neander wurde sein Name, denn nach ihm wurde der Neandertaler benannt. Im Tal, in dem er oft spazieren ging, wurden Reste des später so genannten Neandertalers entdeckt. Er selbst zählt zu den bedeutendsten Dichtern der reformierten Gemeinde in Deutschland. Wie an den Liedern im Gesangbuch erkennbar, betont er lobend Gott / Christus als König, als Herrscher:

Himmel Erde Luft und Meer (Schöpfungslied – 504), Wunderbarer König, Herrscher von uns allen (327), Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren (316), Abermals ein Jahr verflossen (1878: 431), Unser Herrscher, unser König (1878: 453), Sieh hier bin ich, Ehrenkönig, lege mich vor deinen Thron (1878: 457), Wie fleucht dahin der Menschen Zeit (1878: 496).

Im Lied Himmel Erde Luft und Meer wird die gesamte Natur als Diener Gottes dargestellt, die dem König jauchzt. In dieser Gott lobenden Natur erkennt der Mensch Gottes Wirken. Die letzte Strophe lautet: „Ach mein Gott wie wunderbar / stellst du dich der Seele dar! / Drücke stets in meinem Sinn, / was du bist und was ich bin.“

Heute würde man weiter denken: Wenn die Natur nicht jauchzen kann, weil der Mensch nicht so handelt, wie es Gottes Willen entspricht, muss der Mensch sich ändern. Denn so kann sich Gott nicht „der Seele darstellen“ – ein Hindernis auf dem Weg zu Gott. Die Natur lässt auf den Schöpfer schließen, den Herrn, den König. Menschliche Herrscher / Könige spielen keine Rolle.

Gottfried Arnold (1666-1714)

Er wurde unter anderem von Spener beeinflusst, wandte sich später dem radikalen Pietismus zu, war entsprechend kirchenkritisch eingestellt, das heißt, dass wahre Christen nicht in der Kirche zu finden seien, sondern in den von der Kirche verfolgten Ketzern. Maßstab für sein Verständnis vom wahren Christentum ist die Urkirche. Auch dieser harte Kirchenkritiker fand mit manchen seiner Texte Eingang in das Gesangbuch.

Der Sänger der Freiheit. In den mir vorliegenden Liedern ist das Thema Freiheit von großer Bedeutung: Frei ist der Mensch, der ganz im Willen Gottes lebt, der sich nicht von Spott und Hohn, nicht von Alltagskleinigkeiten, nicht von irreführenden Trieben und dem Bösen verführen lässt. („Herzog unsrer Seligkeiten“; 1878: 485): „weg mit Menschenfurcht und Zagen, Zweifel und Bedenklichkeit; / fort mit Scheu und Schmach und Plagen, / fort des Fleisches Weichlichkeit!“ („O Durchbrecher aller Bande“, in EG gekürzt; 1878: 276) Seine Sprache ist Gott gegenüber sehr hart und fordernd. – auch wenn er in dem Lied „So führst du doch recht selig“ (1824[?] schreibt: „Laß doch mein töricht Herz dich meistern nicht.“ Im Grunde kann der Mensch nur frei sein, wenn Gott ihm diese Freiheit gibt. Und solange Gott sie nicht gibt, scheint der Mensch sie fordern zu müssen. Andererseits sieht er auch, dass der Mensch sich entsprechend verhalten muss. Aber er kann auch andere Texte schreiben, die sich sanfter um das Thema Freiheit drehen: „O du süße Lust aus der Liebesbrust / du erweckest wahre Freude, / daß ich falsche Freude meide: o du süße Lust aus der Liebesbrust.“ … „O gewaltger Trieb, / o du Jesus-Lieb!“. Er hat, wie das Lied 1878: 456 zeigt, ein besonderes Jesus-Erlebnis, eine Bekehrung, gehabt: „Laßt mich in der Ruh, / fragt nicht, was ich thu; / ich bin durch den Vorhang gangen, / Jesum innig zu umfangen. / Laßt mich in der Ruh, / fragt nicht, was ich thu.“ In dem Lied „So führst du doch recht selig“ heißt es: „Du bist mein Alles, denn dein Sohn ist mein.“

Benjamin Schmolck (1672-1737)

ist lutherisch-orthodox einzuordnen, sehr stark kirchlich orientiert – seine Lieder haben einen stark lehrhaften Charakter, wie zu sehen sein wird. Er wird darum ausführlicher behandelt – zudem wird an ihm auch deutlich, wie sehr mit den Texten gearbeitet wird.

So manche seiner Lieder werden bis heute gerne gesungen: „Jesus soll die Losung sein, da ein neues Jahr erschienen“: „Alle Sorgen alles Leid / soll sein Name uns versüßen; / so wird alle Bitterkeit / uns ein Segen werden müssen. Jesu Nam sei Sonn und Schild, / welcher allen Kummer stillt.“ (EG 62), „Schmückt das Fest mit Maien“ (135); „Tut mir auf die schöne Pforte“ (166) – in diesem Lied wird der Gottesdienst besungen. Wie manches, das kirchlich bedeutsam ist, wird thematisiert – sogar das Sterbeglöckchen findet in einem Lied Raum: „Heute mir und morgen dir! / So hört man die Glocken klingen, / wenn wir die Verstorbnen hier auf den Gottesacker bringen.“ (1878: 403); Das Tauf-Lehr-Lied: „Liebster Jesu, wir sind hier“ (206; von EG um eine Strophe gekürzt: „Wasch es, Jesu, durch dein Blut / von den angeerbten Flecken; / laß es bald nach deiner Fluth / deinen Purpurmantel decken; / Schenk ihm deiner Unschuld Seide, / daß es ganz in dich sich kleide“ (1878: 203)

Höre, Herr, erhöre“ (423) – ist ein gesungenes Fürbittgebet: „Gib du getreue Lehrer / und unverdrossne Hörer, / die beide Täter sein; / auf Pflanzen und Begießen / lass dein Gedeihen fließen / und ernte reiche Früchte ein“. Dass in der neuen Fassung im EG die Bitte für den Fürsten ausgelassen wird, kann man verstehen. Aber in der neuen Fassung (5. Strophe) ist die alte Version von 1878: 346 (6. Strophe) verhunzt worden. Im alten Gesangbuch steht: „Ach, wend in allen Gnaden Krieg, Feuer, Wasserschaden, Sturm, Seuch und Hagel ab“. EG werden Krieg und Seuche ausgenommen (Strophe 8 ist neu hinzugekommen).  In dem Gesangbuch von 1878: „Hosianna! Davids Sohn kommt in Zion eingezogen“ (21). Eindrucksvoll weist er in dem Lied: „Seht welch ein Mensch ist das!“ die Augen auf das Leiden Jesu am Kreuz für uns Menschen (62). Neben dem Karfreitag-Lied besingt er den siegreichen Helden Jesus, den Osterfürst im Osterlied (72 und 73).

In dem letztgenannten Lied zitiert er auch eines von Ernst Christoph Homburg: „Jesus meines Lebens Leben“ (EG 86) formuliert diesen Vers drastisch um: „Ich will zum Lager machen mir / deine liebe Gruft, / da werd ich einst erwachen, / wenn deine Stimme ruft.“ Ebenso greift er das Lied von Samuel Rodigast auf „Was Gott tut, das ist wohlgetan“ (EG 372) und realisiert es so: „ … so denken Gottes Kinder. Er sieht sie oft nicht freundlich an / und liebt sie doch nicht minder. / Er zieht ihr Herz nur himmelwärts, / wenn er sie lässt auf erden / ein Ziel der Plagen werden.“ Entsprechend werden alle Strophen neu interpretiert.

In dem Lied „Mein Gott, du bist und bleibst mein Gott“ bedenkt er Gottes Handeln in seinem Leben und dass er weiterhin bis nach dem Tod bei Gott sein wird. (1878: 138). Das Lied „Gott lebt, wie kann ich traurig sein“ (1878 374) setzt sich mit der Theodizee-Frage auseinander: Gott lebt – Gott hört – Gott sieht – Gott führt – Gott giebt – Gott lebt. So auch im folgenden Lied: „Je größer Kreuz, je näher Himmel“ In dem Lehr-Lied „Theures Wort aus Gottes Munde“ besingt er die große Bedeutung der Bibel: „Was ich lese, laß mich merken; was du sagest, laß mich tun“. In dem Lehrlied zum Abendmahl lehrt er: „Ach so senke dich in mich, / ich will mich in dich versenken; / Niemand trennt uns sicherlich, / weil wir uns einander schenken. / Leib und Blut ist hier dein Pfand / meinst ist: Herz und Mund und Hand.“

Ein Lehrlied über „Glaube, Lieb und Hoffnung sind der wahrhaft Schmuck der Christen“ finden wir 1878: 268 – was eigentlich auch noch heute im Gesangbuch aufgenommen werden könnte. Anders hat wohl ein Lied wie das: „Vor dir, o Gott, sich kindlich scheuen, / ist unser Glück und unsre Pflicht“ dürfte heute keine Chance haben, weil es die Furcht Gottes lehrt – also Gott zu fürchten (1878: 275). Eine solche Lehre fürchtet man heute. Doch ist sie auch mit dem Folgenden verbunden „Sollt ich meinen Gott nicht lieben“ (1878:280). In diesem Lied reflektiert das singende „Ich“ eben diese Frage. Das wird nicht mehr nur die Frage des Autors, sondern die Frage eines jeden, der es in der Gemeinde singt. Das finden wir zum Beispiel auch bei Paul Gerhard in dem Lied: „Geh aus mein Herz…“ – nicht aber in: „Befiehl du deine Wege…“ Das Erstgenannte zeigt: Es wird zu meinem Lied; das Letztgenannte wird mir zu einem mir zugesprochenen Wort.

In seinem Text „Licht vom Licht erleuchte mich“ (1878: 315) bittet er Gott: „Zünde selbst das Opfer an, das auf meinen Lippen lieget“ – was in alten Texten schon begegnete: Nicht die Musen küssen den Dichter – Gott selbst gibt ihm das Wort in den Mund. In dem Samstag-Abend-Lied: „Die Woche geht zu Ende“ (1878: 329) erkennt er, dass er nach dem Sterben nicht vergehen kann, weil Gott in ihm lebt. Und er schließt: „Soll das in diesem Leben / die letzte Woche sein, / will ich nicht widerstreben, / nein, mich im Geiste freun / auf einen Feierabend, den Christi Tod gemacht; / und diese Hoffnung habend, / sprech ich nun: gute Nacht!“

Es wird deutlich: Mit den Liedern wird gearbeitet. Die Texte werden durch Bearbeitungen für die jeweilige Zeit lebendig gehalten. Auch das neue Gesangbuch lässt deutlich werden, welche Theologie dahinter steckt. Möglichst wenig radikal vom Blut Jesu reden. Mit der Auswahl der Lieder wird Theologie transportiert. Schmolck war ein fleißiger Lehrer durch Lieder.